Marcell Restle 1932 – 2016

Artikel vom 19. Februar 2016 zuletzt aktualisiert am 6. Juni 2021

Die Gesellschaft trauert um Prof. Dr. Marcell Restle. Unser Ehrenmitglied starb einige Tage nach Vollendung seines 84. Lebensjahres am Morgen des 25. Januar 2016 in seiner Heimatstadt Bad Waldsee.

Marcell Restle Wien Juni 2012
Marcell Restle Wien Juni 2012

Marcell Restle studierte Philosophie, Kunstgeschichte unter besonderer Berücksichtigung der byzantinischen und islamischen Kunstgeschichte,  Klassische und Christliche Archäologie, Neugriechische Philologie und Türkisch sowie Kirchengeschichte  an den Universitäten  Tübingen,  München  und  Istanbul; er wurde 1959 an der LMU promoviert. 1961/62 war er  Reisestipendiat des Deutschen Archäologischen Instituts. Zudem forschte er in den 1960er Jahren vor Ort zur  Höhlenarchitektur in Kappadokien. 1968 habilitierte er sich in Wien und wurde dort auch Universitätsdozent. Im folgenden Jahr wechselte er nach München, wo er 1975 zum außerplanmäßigen Professor und 1982 – in der Nachfolge von Klaus Wessel – zum Ordinarius für byzantinische Kunstgeschichte an der Universität München ernannt wurde.

Zu Restles großen, von vielen Mühen begleiteten Werken gehört das mit Klaus Wessel ab 1959 konzipierte und ab 1966 von beiden herausgegebene Reallexikon zur byzantinischen Kunst (RbK). Restle trug zahlreiche eigene Beiträge zu diesem wichtigen Lexikon bei, dessen Fortschritte er stets mit Stolz erwähnte, und das unter seiner Herausgeberschaft bis zum siebten Band gedieh. Während der letzten Jahre in Wien, wo er vor seiner Rückkehr in seine Heimat Bald Waldsee 2014 noch einmal für einige Jahre lebte, bemühte er sich um eine Nachfolge für die ihn zunehmend belastende Arbeit an diesem monumentalen Werk.

DSCN2083Restles Dissertation (der LMU im WS 1958/59 vorgelegt) erschien 1964 in erweiterter Form in Athen unter dem Titel Kunst und Byzantinische Münzprägung von Justinian I. bis zum Bilderstreit. Seine auf zehnjähriger Forschungstätigkeit basierende Habilitationsschrift wurde 1967 als dreibändiges Werk unter dem Titel Die byzantinische Wandmalerei in Kleinasien publiziert (Aurel Bongers Recklinghausen, in englischer Sprache in New York 1968). Die Bände dokumentieren insgesamt 76 Malereizyklen, namentlich in Kappadokien, aber auch an anderen Orten, mit zahlreichen Fotos und Planzeichnungen.

An dieser Stelle sei ein Zitat aus der Marcell Restle am 9. Februar 2001 überreichten Festschrift, LITHOSTROTON Studien zur byzantinischen Kunst und Geschichte (Stuttgart 2000), herausgegeben von Birgitt Borkopp und Thomas Steppan, erlaubt: „Jugend- und Studienjahre in Oberschwaben DSCN2081und Bayern prägte die lebendige Erfahrung barocker Bauten und Bilder. Langjährige Aufenthalte in Istanbul und Reisen in der Türkei mit seinem Lehrer Kurt Erdmann, mit dem ihn wachsende Freundschaft verband, haben ihm Kennerschaft und Einsicht auch in die Islamische Kunst erschlossen.“ Diese Kennerschaft ermöglichte es ihm, neben seinen Lehrveranstaltungen zur byzantinischen Kunst an der LMU auch Vorlesungen zur islamischen Kunst zu halten.
Seiner Mitarbeit im Vorstand unserer Gesellschaft verdankte sie jahrelang wertvollen Rat.

Von seinen vielen Schriften wurde der Öffentlichkeit Reclams Kunstführer Istanbul, Bursa, Edirne, Iznik, dessen erste Auflage 1976 in Stuttgart erschien und danach leider nur noch einmal 1978 DSCN2084aufgelegt wurde, weithin bekannt; nicht wenige Reisende halten dieses bis zu manchen verborgenen Denkmalen führende Buch bis heute für die beste fachmännische Begleitung in der Stadt am Bosporus. Es hat übrigens auch Aufnahme in „A Bibliography of the Architecture, Arts and Crafts of Islam by Sir K.A.C.Creswell“ gefunden (Second Supplement, 1984, 200).  Islamischen Spuren spürte Restle auch in heimischen Gefilden nach;  lange vor Stefan Wimmers Buch über „München und der Orient“ machte er sich Gedanken über Türkische Elemente in der bayerischen Architektur des 18. und 19. Jahrhunderts (in Die Türkei in Europa, Göttingen 1979, 45 f.).

In der Chronologie von Restles Monographien folgen dann die Studien zur frühbyzantinischen Architektur Kappadokiens in zwei Bänden, die 1979 in Wien erschienen. Schwerpunkt seiner Arbeiten blieb die byzantinische Kunstgeschichte. „Die von der Kommission für die Tabula Imperii Byzantini, Wien, vorgelegten Bände (1981 Kappadokien; 1984 Galatien und Lykaonien) wurden in ihrer Bedeutung für die kunsthistorische Forschung noch kaum hoch genug geschätzt; mit diesen Studien hat er weit in die Zukunft gewirkt“. (Festschrift)

Immer wieder hat Marcell Restle sein Wissen in Beiträgen zu Katalogen wichtiger Ausstellungen, etwa Rom und Byzanz. Schatzkammerstücke aus bayerischen Sammlungen (München 1998), einem breiten Publikum zugänglich gemacht; wissenschaftliche Genauigkeit und Allgemeinverständlichkeit waren nicht nur in diesen Texten seine „Markenzeichen“. Vergessen seien nicht das Vorwort im Katalog unserer Jubiläumsausstellung in Ingolstadt 2000, sein Beitrag in EOTHEN IV (München 2007) oder auch die Organisation von wissenschaftlichen Kongressen, von denen hier nur der legendäre VI. Internationale Kongress für Türkische Kunst im September 1979 in München erwähnt sei.

Zu den zahlreichen Einträgen im Werkverzeichnis der Festschrift zählt noch eine ganze Reihe von Bänden, die Marcell Restle alleine oder mit Kollegen herausgegeben hat, sowie eine Fülle von Lexikonartikeln (z.B. im Lexikon des Mittelalters), Rezensionen und Aufsätzen in in- und ausländischen Publikationen.

Zu den Werken, die damals noch nicht verzeichnet werden konnten, findet sich ein erster Hinweis in der Festschrift für N. K. Mutsopulos (Thessalonike 1991) im Aufsatz Die Apsisnebenräume in der Kirchenarchitektur des Hauran (Südsyrien). Der Ertrag seiner Forschungen in dieser Landschaft im Süden Syriens, die er in den Jahren 1978 bis 1980 zusammen mit Johannes Koder und weiteren Wissenschaftlern der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und der Technischen Universität Wien durchführte, lässt sich heute nur noch digital vermitteln: Architekturdenkmäler der spätantiken und frühbyzantinischen Zeit im Hauran 1: Hauran Restle1AZR´A (ZORA); 2: ŠAQQĀ (SAKKAIA – MAXIMIANUPOLIS). Der Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften beschreibt die beiden (von insgesamt drei geplanten) CDs, die 2012 und 2016 vorgelegt wurde, u.a. wie folgt: “In dieser spätantiken und frühbyzantinischen Siedlungslandschaft sind (bzw. waren damals noch) umfangreiche Reste von Repräsentationsbauten, Kirchen, Klöstern und landwirtschaftlichen Gehöften erhalten und teils in gutem Zustand. Im Zuge der Feldforschungen wurden mehr als hundert Einzelbauten und Denkmalskomplexe untersucht, photographisch dokumentiert und photogrammetrisch vermessen.“

Das Stichwort photogrammetrisch erinnert daran, dass Restle 1987 den Felsendom auf dem Tempelberg in Jerusalem und die Umayyadenmoschee in Damaskus mit dieser Technik der Aufnahme und Auswertung photographischer Messbilder dokumentiert hat. Sein Bildarchiv wartet noch auf seine Digitalisierung *).

Als unsere Gesellschaft die bereits vielfach ausgezeichneten Persönlichkeiten Marcell Restle und Annemarie Schimmel am 14. November 2001 zu ihren Ehrenmitgliedern ernannte, ehrten wir zwei Gelehrte mit universalem Wissen, deren liebenswerter Charakter ihrer Bedeutung als Wissenschaftler in nichts nachstand.

„In unserer Zeit, da viele der römischen, byzantinischen und osmanischen Monumente im Nahen Osten, denen er seine Forschungen widmete, bedroht oder bereits unwiederbringlich zerstört sind, kommt seinem Werk neue Bedeutung zu. Zeit seines Forscherlebens hat er sich nachhaltig für die Erhaltung und Würdigung historischer Denkmäler und Bauwerke eingesetzt und darin auch viele, die sein Anliegen teilten, unterstützt. Wir sind ihm für so Vieles dankbar“.
Diesen Worten aus der Todesanzeige der Familie können wir uns aus vollem Herzen anschließen.

*) Wer dazu beitragen möchte, kann der Oesterreichischen Gesellschaft für Byzantinistik auf deren Konto IBAN: AT88 6000 0000 0190 0446, BIC: OPSKATWW unter dem Stichwort „Digitalisierung des Bildnachlasses Marcell Restle“ eine Spende überweisen. In der Todesanzeige hatte die Familie darum statt Blumen und Kränzen gebeten.

(WJP, mit Dank für tatkräftige Unterstützung an Birgitt Borkopp-Restle)