Sultanspracht im Papstpalast oder: das Recht des Teppich

Artikel vom 18. Dezember 2012 zuletzt aktualisiert am 1. Juli 2016
Sultanspracht im Papstpalast oder: das Recht des Teppichs – Orientalische Teppiche in der italienischen Malerei des 14./15. Jahrhunderts

Am 6. November 2012 hielt Frau Vera-Simone Schulz M.A., Florenz, den Vortrag Sultanspracht im Papstpalast oder: das Recht des Teppichs – Orientalische Teppiche in der italienischen Malerei des 14./15. Jahrhunderts.

Die Referentin studierte Kunstgeschichte in Berlin, Moskau und Damaskus, sie erhielt ein Stipendium der Studienstiftung des Deutschen Volkes und ist derzeit Wissenschaftliche Assistentin von Prof. Gerhard Wolf am Kunsthistorischen Institut Florenz – Max Planck Institut.

Den Vortrag hatte die Referentin mit den folgenden Hinweisen angekündigt: „Wer will ihn nicht betreten, den roten Teppich? Während der Genuss dieses Privilegs täglich in den Medien zu beobachten ist, finden seine spätmittelalterlichen Ursprünge in der Funktion und Wahrnehmung orientalischer Knüpfteppiche in Europa kaum mehr Beachtung. Die importierten Luxusgüter zierten Wand- und Tafelmalerei in Italien seit dem Ende des 13. Jahrhunderts als neue Bildelemente und boten den Malern Gelegenheit, Probleme der Perspektive und der Erschaffung von Raum und Fragen der Zwei- und Dreidimensionalität von Teppich-Schauseiten und der materiellen Beschaffenheit von Textilien in ihren Bildern auszuloten.

Doch auch der bildlich demonstrierte Gebrauch der kostbaren Knüpfteppiche lohnt eingehende Betrachtung. Mit einem besonderen Blick auf den Papstpalast in Avignon wird zu zeigen sein, wie farbenprächtige Orientteppiche nicht nur dekorativ eingesetzt wurden, sondern auch rechtliche Konnotationen bargen und als Indikatoren eines textilen Machtbereich der Päpste fungierten“.

Welche zeremonielle Bedeutung einem Teppich und seinem Betreten noch in der Nachkriegsgeschichte Deutschlands zukommen konnte, zeigt eine Szene, die Konrad Adenauer in seinen Erinnerungen (Bd. 1, S. 233 f.) beschreibt. Die Hohen Kommissare beabsichtigten, das Besatzungsstatut in einer feierlichen Zeremonie zu überreichen. „Dieses Vorhaben gefiel mir nicht“.

Im Bildausschnitt nur zwei der Hohen Kommissare: (v.l.n.r.) Francois-Poncet und McCloy, rechts von ihm Adenauer einen Text lesend

Adenauer bat, von einer Großen Zeremonie Abstand zu nehmen. Man einigte sich letztlich darauf, „daß die Hohen Kommissare mich empfangen würden, indem sie auf einem Teppich stünden, während ich vor diesem Teppich stehen sollte. Ihr Vorsitzender sollte eine Ansprache halten und das Inkrafttreten des Besatzungsstatus verkünden. Alsdann sollte ich den Teppich betreten. Ich erklärte mich einverstanden“.

Was wirklich am 21. September 1949 geschah, wurde Konrad Adenauer später als beherzte Demonstration wiedererwachten deutschen Nationalstolzes angerechnet. Die deutsche Delegation wurde auf dem Petersberg in einen Raum geführt, „in dem uns die drei Hohen Kommissare auf einem Teppich stehend empfingen. François-Poncet hatte an dem betreffenden Tage den Vorsitz inne. Er trat, während ich vor dem Teppich halt machte, einen Schritt nach vorn, um mich zu begrüßen. Ich machte mir diese Gelegenheit zunutze, ging ihm entgegen und stand somit gleichfalls auf dem Teppich. Keiner der Hohen Kommissare wendete sich dagegen. François-Poncet hielt seine Ansprache.“ Im Bildausschnitt nur zwei der Hohen Kommissare: (v.l.n.r.) Francois-Poncet und McCloy, rechts von ihm Adenauer einen Text lesend.

In einem Beitrag, in dem die Referentin später ihren Vortrag noch einmal zusammenfasste, wurde unter anderem auch dieses Ereignis noch einmal beleuchtet:

„Als ein Fotograf am 21. September 1949 Konrad Adenauer umgeben von seinem Wirtschaftsminister und den Hohen Kommissaren der Vereinigten Staaten, Großbritanniens und Frankreichs im Hotel Petersberg bei Königswinter fotografierte, entbehrte die Platzierung der Dargestellten nicht einer gewissen Ironie: hinter ihnen eine mit einem Läufer bedeckte Treppe; vor ihnen ausschnitthaft zu sehen ein Teppich. Dabei hatte kurz vor der Aufnahme just ein Teppich bei den Anwesenden für diplomatischen Aufruhr gesorgt. Anlass der Zusammenkunft war die Überreichung des Besatzungsstatutes an Adenauer gewesen, wofür ein streng geregeltes Zeremoniell festgelegt worden war. So hatte man verabredet, dass sich die deutsche Delegation in angemessenem Abstand vor einem Teppich einzufinden habe, auf welchem allein die Hohen Kommissare stehen durften. Erst als der Vorsitzende das Inkrafttreten des Besatzungsstatutes verkündet hatte, sollte auch Adenauer den Teppich betreten. Die deutsche Delegation hielt sich zunächst an das Protokoll und machte wie vorgeschrieben vor dem Teppich Halt. Als jedoch der französische Kommissar gleich zu Beginn der Zeremonie einen Schritt nach vorn trat, um Adenauer zu begrüßen, nutzte dieser sofort die Gelegenheit, ihm höflich entgegenzutreten und damit gleichfalls auf dem Teppichflor zu stehen. Das Petersberger Abkommen ging in die Geschichte ein – ebenso Adenauers voreiliges Betreten des Teppichs.

Die politische Bedeutung von Teppichen ist heutzutage omnipräsent und die Frage, wer ihn betreten darf, also die Frage nach der Symbolkraft als abgegrenzter Raum der Macht, steht in einer langen Tradition. Berühmtheit erlangte etwa das „Teppichzeremoniell“ am Hof Ludwigs XIV., welches u.a. Henri de Saint-Simon in seinen Memoiren beschreibt. Wolfgang Brassat hat deshalb bei seiner Analyse der Tapisserien nach Entwürfen von Charles Le Brun, welche wenige Privilegierte gemeinsam mit dem französischen König auf persischen Knüpfteppichen stehend zeigen, mit G. A. Varron auch von einem „Recht des Teppichs“ gesprochen. Während sich Avinoam Shalem in einer Studie der Rolle von Teppichen in Audienzsälen in umayyadischer und abbasidischer Zeit zugewandt hat, wurde die politische Rolle von Bodenteppichen im mittelalterlichen Europa bislang nicht behandelt. Ausgehend von der frühesten bekannten Darstellung eines Teppichs in der italienischen Malerei, dem wappenverzierten Exemplar auf dem Widmungsbild der vermutlich vor 1258 in Sizilien entstandenen Manfredbibel, stand diese Frage deshalb im Vordergrund.

Fra Angelicos Altartafel aus San Marco
Fra Angelicos Altartafel aus San Marco

Da nicht nur orientalische Knüpfteppiche, sondern auch das Wissen um ihren Gebrauch aus Kleinasien, dem Nahen und Mittleren Osten, Nordafrika oder Spanien nach Europa gelangten, wäre zu erwarten, dass Teppiche in Darstellungen orientalischer Herrscher in der europäischen Kunst entsprechend als deren Attribute der Macht zum Einsatz kamen. Allerdings ergab eine detaillierte Untersuchung der italienischen Malerei des 14. Jahrhunderts genau das gegenteilige Ergebnis: Keine Sultansdarstellung des Trecento zeigt einen Teppich. Stattdessen erscheinen Teppiche zeitgleich in zahlreichen Darstellungen des Papstes. Dass dieses Paradox von der Forschung bislang ebenso wenig bemerkt wurde wie einige der vorgestellten Teppichdarstellungen – etwa diejenige in der um 1320 von Giotto ausgemalten Cappella Bardi in Santa Croce in Florenz –, gab Anlass, einen Blick auf den methodischen Ansatz der bisherigen Verknüpfung von Teppich- und Kunstgeschichte zu werfen. Dieser ist zwar durch die Arbeiten von Wilhelm von Bode, Kurt Erdmann und John Mills maßgeblich etabliert, bietet allerdings bzgl. orientalischer Knüpfteppiche des 14. Jahrhunderts grundlegende Probleme. Wegen der sehr wenigen bekannten Teppichexemplare des 14. Jahrhunderts diente die Malerei bislang lediglich als Quelle, um nicht mehr erhaltene, doch möglicherweise einst existierende Teppiche zu rekonstruieren. Vernachlässigt wurde dagegen die Frage, wie die Maler im Trecento das neue Bildelement des Teppichs in die Komposition einbetteten bzw. wie es ihnen gelang, anhand der Wiedergabe von Knüpfteppichen Aspekte der Perspektive, der Schaffung von Raum, der Zwei- und Dreidimensionalität der Teppichschauseiten und nicht zuletzt Aspekte der materiellen Beschaffenheit verschiedener Textilien in ihren Bildern auszuloten. Noch interessierte für das Trecento bislang hinreichend das Verhältnis zwischen Teppichdarstellung und Bildsujet.

Eine Analyse der Piccola Maestà von Ambrogio Lorenzetti konnte allerdings nicht nur darlegen, welche kompositorisch zentrale Bedeutung dem dargestellten Teppich zukommt, sondern auch den künstlerischen Umgang mit dem Teppichmotiv: gefleckten Panthern. Sie wurden vom Maler ebenso kreativ eingesetzt und symbolisch gedeutet wie dies bzgl. Teppichmustern im Papstkontext geschah. So zeigt etwa Giovanni di Paolos Darstellung der Heiligen Katharina vor Papst Gregor XI. einen päpstlichen Audienzteppich mit prominentem Papageiendekor, Vögeln also, welche nicht nur aufgrund ihres Namens (papagallus) an den Papst (papa) denken ließen, sondern im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit auch exotische und kostspielige Zimmergenossen der Päpste waren. Eine Aufarbeitung der in Inventaren des Papstpalastes in Avignon aufgeführten Teppiche sowie eine Untersuchung von Teppichdarstellungen im Medium der Malerei gab weitere Einblicke in die Bedeutung von Knüpfteppichen am Papsthof.

Zuletzt wurde demonstriert, wie sich in der Person des Papstes die politische und die sakrale Bedeutung von Bodenteppichen verschränken. Eine bislang unbeachtete Passage aus Guglielmus Durandus‘ Rationale Divinorum Officiorum vom Ende des 13. Jahrhunderts führt unter Rückgriff auf ältere liturgische Schriften ausführlich die Rolle eines Teppichs im Chor einer Kirche aus: er sollte dort auf dem Boden liegen und beschritten werden, insbesondere von Bischöfen, welche Irdisches mit Füßen treten müssten. Der Papst thronte als Staats- und Kirchenoberhaupt also nicht nur vor einem Teppich, sondern schritt als Bischof auch selbst über Teppiche zum Altar.

Während orientalische Teppiche die italienische Malerei ab der Mitte des 15. Jahrhunderts auch als Bodenteppiche in zahlreichen verschiedenen Kontexten – selbst zu Füßen eines Sultans – zieren, ist ihre Darstellung in der Malerei des 14. Jahrhunderts eng beschränkt. So zeigte die Analyse, dass das „Recht des Teppichs“, welches im ausgehenden Mittelalter nur einem begrenzten Personenkreis zukam und eine entsprechende Heraushebung bedeutete, in seiner Restriktion vom Recht auf einen gemalten Bodenteppich sogar noch übertroffen wurde. Eine genaue Untersuchung, wer in der italienischen Trecentomalerei vor einem Teppich thronend dargestellt wurde, ergab: Es sind Maria mit dem Christusknaben, ein Bischof, Christus, die Allegorie der Gerechtigkeit und der Papst“. Literatur zum Thema: Gustave Soulier: Les Influences Orientales dans la Peinture Toscane, Henri Laurens, Editeur, Paris 1924.

Nun ist in den Mitteilungen des Kunsthistorischen Institutes in Florenz, Band LV, 2013, Heft I ein Beitrag von Costanza Caraffa und Avinoam Shalem erschienen, der u.a. das Thema des Vortrags aufgreift, jedoch viele weitere Aspekte, auch aus der jüngsten Geschichte Deutschlands, behandelt: ’Hitler’s‘ Carpet. A Tale of one City. Das Institut ist bereit, interessierten Personen den Artikel als pdf zur Verfügung zu stellen; bitte wenden Sie sich ggf. an den zuständigen Redakteur der Zeitschrift, Herrn Dr. Samuel Vitali, E-Mail S.Vitali@khi.fi.it