Die Annemarie Schimmel – Preise 2017/18

Artikel vom 11. Februar 2018 zuletzt aktualisiert am 28. Januar 2023

Am 29. Januar 2018 verlieh unsere Gesellschaft im Internationalen Begegnungszentrum Wissenschaft (IBZ) der LMU  den im vorangegangenen Jahr ausgelobten Preis für junge Wissenschaftler.

Die aus fünf Hochschullehrern (der Universitäten Bamberg, Hamburg und München) zusammengesetzte Jury beurteilte keine der eingereichten Masterarbeiten als preiswürdig, weshalb die Herren beschlossen, dem Vorstand der Gesellschaft erstmalig zwei gleichwertige Dissertationen für die Verleihung des Annemarie Schimmel – Preises von je 1000 € vorzuschlagen.

Die Preisträger sind

  • Frau Dr. Ilse Sturkenboom von der St Andrews University (Schottland)
  • Herr Dr. Dennis Halft OP von der Freien Universität Berlin

Zunächst hielt Dr. Andreas Kaplony, Professor für Arabistik und Islamwissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität, München, die Laudatio auf Dennis Halft, der für den Abend einen Vortrag  mit dem Titel Ägypten – Rom – Persien. Eine arabische Evangelienübersetzung zwischen Christentum und Islam vorgesehen hatte; leider war er wegen eines Todesfalles in seiner Familie an der Teilnahme verhindert. Den Vortrag wird er im Rahmen unseres Programms für das SS 2018 am Dienstag, dem 19. Juni, nachholen.

links Prof. Paul, rechts Prof Kaplony

„Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freunde,
einer der beiden Preisträger des Annemarie-Schimmel-Preises 2017 ist Dr. Dennis Halft OP. Geboren 1981, hat er 2001-2008 an der Freien Universität Berlin „Islamic Studies“ und „Iranian Studies and Comparative Religious Studies“ studiert und das Studium mit einer Masterarbeit über Schiitische Polemik gegen das Christentum im safawidischen Iran des 17. Jahrhunderts abgeschlossen. Daran hat er einerseits ein Diplomstudium in katholischer Theologie an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz angehängt, das er 2016 mit einer Diplomarbeit über Menschwerdung Gottes in der Vielfalt der Religionen: Claude Geffrés Rezeption der Inkarnationstheologie Chenus abgerundet hat. Andererseits hat er seine Masterarbeit zu einer Dissertation über The Arabic Vulgate in Safavid Persia: Arabic Printing of the Gospels, Catholic Missionaries, and the Rise of Shīʿī Anti-Christian Polemics wieder an der FU Berlin ausgeweitet, betreut zuerst von Sabine Schmidtke, dann von Walid Saleh und Birgit Krawietz, FU Berlin 2017 mit „summa cum laude“. Seit Oktober 2016 arbeitet Dennis Halft an der Ben-Gurion Universität des Negev in Beersheba am Zentrum für die Erforschung der Konversion und interreligiösen Begegnungen, im Rahmen des Projektes „The Dialogical Context of Near Eastern Polemical Literature: Muslim Responses to Christianity in 13th-Century Egypt“.

– Texte, Formen und Praktiken wandern. Wandern durch die Zeiten, wandern durch die Kulturen. Behalten ihre Form und werden mit neuen Bedeutungen aufgeladen. So beispielsweise das Alte Testament, eine Sammlung von Geschichten, juristischen Texten und Gedichten eines im Alten Orient marginalen Berglandes. Eine Sammlung, die in den letzten zwei-dreitausend Jahren in immer anderen Gesellschaften immer neue Funktionen übernommen hat, während die damals kulturell führenden Texte Ägyptens, Phöniziens und Mesopotamiens heute, wenn überhaupt, nur noch einigen wenigen Forscherinnen und Forschern bekannt sind.

Und damit kommen wir zur Arbeit von Dennis Halft. Dennis Halft untersucht nämlich zwei solche Wanderungen

der Bibel, besonders der vier Evangelien. Dabei geht er von der Arabischen Vulgata aus, dem überhaupt ersten arabischen Druck der vier Evangelien, gedruckt vor 1600 im Rom der Medici-Päpste, und schaut einmal zurück, einmal dreimal nach vorne.

Die Arabische Vulgata basiert auf einer ganz bestimmten arabischen Übersetzung: Um 1350, hatten die Mönche in einem der koptischen Kloster im Wadi Natrun, in der Wüste zwischen Kairo und Alexandrien, die Bibel neu auf arabisch übersetzt. Diese Übersetzung war dann 250 Jahre von Kopten und Syrern verwendet worden, dann in einer Handschrift auch nach Rom gekommen. Dennis Halft beschreibt, wie der Text dieser Handschrift zur handgeschriebenen Druckvorlage wird, wie diese Druckvorlage langwierig mit der lateinischen Standard-Vulgata verglichen wird, und wie daraus die Version wird, die dann für den Druck das „imprimatur“ erhält. Erstens: die Arabische Vulgata entsteht um 1600 im Druck-Betrieb der Medici-Päpste.

Katholische Missionare bringen diesen Medici-Druck schnell nach Iran und nach Indien und argumentieren bei

der Missionierung von Nicht-Muslimen und von nicht-katholischen Christen mit diesem Druck: hier spielt das Interesse der römischen Kirche an der arabischen Bibel, am Druck arabischer Bücher und an der Mission unmittelbar zusammen. Ganz praktisch gibt es in Isfahan den Konvent der Unbeschuhten Karmeliter. Dort, in der Bibliothek der Karmeliter, exzerpieren 12erschiitische Gelehrte die Arabische Vulgata, ja erhalten ihre eigenen Kopien und nutzen diese, um mit präzisen (persischen) Zitaten aus dieser Bibel in ausführlichen Untersuchungen die Richtigkeit des 12er-schiitischen Islams herauszuarbeiten. Die in mehreren Versionen erhaltene theologische Polemik des Sayyid Aḥmad ʿAlavī (gest. 1054-1060/1644-1650), gelangt dann ihrerseits in mehreren Versionen nach Rom und führt dort zu Repliken einer päpstlichen Kommission in Rom – der Beginn der katholisch-schiitischen Polemik und Apologetik. Zweitens: die Arabische Vulgata ist in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts in Isfahan Instrument der katholischen Mission und der 12er-schiitischen Gegenmission.

Diese Art von Auseinandersetzung mit katholischer Theologie gibt es auch am Rand des Ṣafawidenreiches, in Tbilissi um 1650. In Religionsgesprächen zwischen 12er-schiitischen Gelehrten, u.a. Ẓahīr al-Dīn Tafrishī (gest. vor 1114/1702), und griechisch-orthodoxen (melkitischen) und römisch-katholischen Theologen berufen sich beiden Seiten auf zwei bestimme arabische Bibelübersetzungen: auf die arabische Bibelübersetzung von Ibn Faḍl aus dem 11. Jahrhundert, wie sie in der Liturgie der Gemeinden in Tbilissi verwendet wird, und auf die Arabische Vulgata aus Rom. Offenkundig hatten die 12er-schiitischen Gelehrten durchaus Zugang zu den arabischen liturgischen Büchern vor Ort. Und benutzen daneben die neue Arabische Vulgata. Drittens: die Arabische Vulgata als Konkurrenz-Bibel in den katholisch-12er-schiitischen Religionsgesprächen.

Die Arabische Vulgata spielt in einem Projekt des iranischen Staates ein weiteres Mal eine zentrale Rolle. Vor

Beginn der Matthäusevangeliums in arabischer Sprache (Teheran, Universitätsbibliothek, Hs. 7197, fol. 37v, 17. Jahrhundert), © Kitābḫāna-yi Markazī-i Dānišgāh, Teheran

1700 erhält in Isfahan der sehr einflussreiche Jurist Sayyid Mīr Muḥammad Bāqir Ḫātūnābādī (gest. 1127/1715) den Auftrag, die Bibel (aus dem Arabischen) wörtlich ins Persische zu übersetzen. Und als arabischen Ausgangstext verwendet Ḫātūnābādī wieder die Arabische Vulgata, kommentiert diese und basiert auf ihr seine ausführliche Widerlegung des Christentums. Viertens: die Arabische Vulgata als Basis für die bis ins Einzelne gehende akademische 12er-schiitische Widerlegung des Christentums.

Später, im 18. Jahrhundert tritt in Iran eine andere Bibelübersetzung in den Vordergrund, die Biblia sacra Arabica. Im 17. Jahrhundert aber spielt die von den Kopten um 1350 übersetze und von der römischen Kirche um 1500 an die lateinische Vulgata angepasste und gedruckte „Arabische Vulgata“ in der intellektuell anspruchsvollen, textbasierten Auseinandersetzung zwischen katholischen Missionaren und 12er-schiitischen Gelehrten die entscheidende Rolle: textbasiert, einen Text auslegend, nämlich diesen Text auslegend. Ausgehend von seiner geduldigen Arbeit in den Handschriftensammlungen und Archiven Irans, des Iraks und Europas, besonders Roms, und unter Einbezug der literarischen persischen, lateinischen und arabischen Quellen, zeichnet Dennis Halft ein filigranes Bild von der Herkunft und vom Einfluss eines römischen arabischen Druckes in Ägypten bzw. in Iran. Vielen Dank!“

Sodann folgte Dr. Ludwig Paul, der als Professor am Asien-Afrika-Institut der Universität Hamburg das Fach Iranistik vertritt, mit seiner Laudatio auf Ilse Sturkenboom, die später mit dem Referat Anmerkungen zur islamischen Buchkunst – Warum wurden Àttars ‚Vogelgespräche‘ illustriert? ihre Dissertation vorstellte.

„Lieber Herr Leonhard, liebe Freunde der islamischen Kunst und Kultur, liebe Kolleginnen, Kollegen und weitere Gäste, liebe Frau Sturkenboom,
es ist mir eine große Freude, die Laudatio auf Frau Sturkenboom und ihre hervorragende Dissertation zu halten. Ilse Sturkenboom wurde in Eindhoven(Niederlande) geboren und studierte von 2002 bis 2008 an der Universität Groningen (Niederlande) Kunstgeschichte und Archäologie. Dort erwarb sie die Abschlüsse Bachelor of Arts und Master of Arts. In ihren beiden Abschlussarbeiten beschäftigte sie sich bereits mit Themen aus der islamischen Welt: der timuridischen bzw. vor-osmanischen islamischen Architektur. Während ihrer Masterphase verbrachte sie zwei Auslandssemester in Istanbul und Bamberg, in denen sie ihre Kenntnisse islamischer Kunstgeschichte und Archäologie und des Persischen vertiefte. Hieran schloß sie einen weiteren Master in Iranistik an der Universität Bamberg an (2011). In ihrer Abschlußarbeit behandelte sie das Verhältnis von Text und Bild in einigen Handschriften des persischen Literaturwerks Mantiq at-Teyr und verband auf diese Weise die Fächer Iranistik und Islamische Kunstgeschichte miteinander.

Nun war sie umfassend qualifiziert, um an der Universität Bamberg eine Dissertation in Islamischer Kunstgeschichte zu verfassen, in der sie das Thema ihrer Bamberger Master-Abschlussarbeit ausbaute und erweiterte. Diese Dissertation, die von dem Islamischen Kunsthistoriker Lorenz Korn und der Iranistin Birgitt Hoffmann (beide Bamberg) betreut wurde, schloss sie im Jahre 2016 mit der Bewertung „summa cum laude“ ab. Schon während ihrer Promotionsphase erhielt sie verschiedene Stipendien und Stellen, z.B. ein einjähriges Stipendium am Metropolitan Museum of Art (New York) und eine zweijährige Assistentenstelle an der Universität Wien. Nach Abschluss der Dissertation bekleidete sie zunächst kurzzeitig eine Assistentenstelle an der Universität Amsterdam und dann, ab Herbst 2016, eine Stelle als Lecturer in Iranisch-Islamischer Kunstgeschichte an der schottischen Universität St. Andrews, die sie heute noch innehat.

Der Titel von Frau Sturkenbooms Dissertation, die den Anlass meiner Laudatio darstellt, lautet: The imagery of the Mantiq at-Teyr. A 15th-century history of illustrated manuscripts incorporating Attars Conference of the Birds (Die Bildersprache des Mantiq at-Teyr. Eine Geschichte der bebilderten Handschriften des 15. Jahrhunderts von Attars Konferenz der Vögel).

Hier stellen sich die Fragen: Was ist das Mantiq at-Teyr? Wer war sein Autor? Warum ist die Bildersprache dieses Werks relevant und untersuchenswert?

Dr. Ilse Sturkenboom neben dem Foto von Annemarie Schimmel.

Das Mantiq at-Teyr (Deutsch: „Konferenz der Vögel“, bisweilen auch übersetzt als: „Gespräch der Vögel“) ist eines der wichtigsten Werke des bedeutenden persischen Dichters und Mystikers Fariduddin Attar. Es ist ein episches Gedicht, d.h. eine in Reimen verfasste Erzählung im Umfang von ca. 4.700 Versen. Seine Struktur ist komplex: in eine Rahmenerzählung sind mehrere Folgen von teilweise miteinander verbundenen Einzelerzählungen eingebettet. Diese sind historischen, belehrenden, mythologischen und mystischen Inhalts.

Über den Autor Fariduddin Attar und sein Leben ist, was übrigens für die meisten Dichter der klassischen Phase der persischen Literatur gilt, wenig bekannt; sein „Kern ist hinter Mythen versteckt“. Er lebte ca. von 1150-1230 überwiegend in Nishapur (Nordost-Iran), war von Berufs wegen eigentlich Apotheker, daneben praktizierender Sufi und galt als ungewöhnlich belesen. Neben Sanai und Rumi ist er einer der drei bedeutendsten mystischen persischen Dichter. „Mystik“ wird hier verstanden als ein „innerer“, nicht von den Religionsgelehrten und der Orthodoxie vorgegebener Weg zu Gott.

Um das Thema und die Bedeutung der Dissertation zu verstehen, muss man einige grundlegende Tatsachen über seinen Aufbau und Inhalt wissen. Ein genaues Werk- und Textverständnis bildet auch die Grundlage der Dissertation. Frau Sturkenboom hat hierzu im Rahmen ihrer Arbeit unter anderem eine sehr detaillierte und übersichtliche analytische Tabelle erstellt.

Es geht in dem Buch um die Reise einer großen Zahl (wohl viele Hunderttausende) von Vögeln zu einem Wundervogel namens Simorgh. Die Vögel wollen zu ihm reisen, da sie sich ihn als ihren weltlichen und mystischen Herrscher vorstellen. Gleichzeitig schrecken sie vor den Gefahren und Schwierigkeiten der langen und beschwerlichen Reise zurück. In einer Abfolge von Reden erläutern verschiedene Vögel ihre Ausreden und Ausflüchte, warum sie eigentlich nicht diese Reise unternehmen oder weiter verfolgen wollen; so will der Pfau nicht das ihm gewohnte Paradies verlassen, die Ente glaubt, nicht längere Zeit ohne ihr Element Wasser auszukommen, und so weiter. Der Wiedehopf, eigentlich Bote des weisen Herrschers Salomon, hat die Leitung der „Reisegruppe“ inne. Er antwortet auf jede dieser „Ausreden“ mit einer oder mehreren, zum Teil ausführlichen Geschichte, in denen er die Vögel zum weiterwandern ermahnt und motiviert.

Nach der letzten Ausrede erläutert der Wiedehopf, dass nun noch sieben Täler zu durchwandern sind (das Tal des Lebens, das Tal der Erkenntnis, etc.), bis die Vögel an die „Schwelle Gottes“ gelangen. Am Ende erreichen von den vielen Vögeln nur genau 30 ihr Ziel, den Wundervogel Simorgh. Dieser empfängt sie jedoch gar nicht und läßt nur ausrichten: er benötige sie nicht, denn er sei ohnehin der absolute Herrscher. Die 30 Vögel, abgekämpft, abgemagert, ohne Federn, kraftlos, mit gebrochenen Herzen, sind nun zu nichts geworden. Durch die zurückweisenden Worte des Wundervogels werden sie „wie ein ewig Toter“. Andererseits erkennen sie, dass sie als „30 Vögel“ (= Persisch Simorgh, von si = „30“ und morgh = „Vogel“, identisch mit dem Namen des Wundervogels) letztlich bei sich selbst angekommen sind. Sie haben eine mystische Reise ins eigene Selbst unternommen.

Dies ist der der Kern des mystischen Gehalts und Sinnes von Attars Werk: durch die Vernichtung (Arabisch-Persisch fanā) und „Entwerdung“ am Ende einer langen Reise wird man gleichzeitig eins mit sich selbst und Gott: „vergehe, bis nichts mehr von deiner Existenz übrig bleibt. Denn solange du bist: wie kannst du den Sinn in Gott erreichen?“ (zitiert aus der „Konferenz der Vögel“) Nach Hellmut Ritters bahnbrechender Untersuchung zu „Mensch, Welt und Gott in den Geschichten des Fariduddin Attar“ (Das Meer der Seele, Leiden 1955) ist dieses Erreichen Gottes durch die „Entwerdung“ die letzte von vier Stufen der islamischen Frömmigkeit.

Nun komme ich wieder zurück zur Dissertation und dem, was sie geleistet hat und wofür sie heute einen Preis verliehen bekommt: eine umfassende Untersuchung der Bildersprache von Handschriften des Mantiq at-Teyr des 15. Jahrhunderts. Warum ist dies relevant und wichtig?

Aus heutiger Sicht macht ein literarisches Werk vor allem dessen geschriebener Text aus. In früheren Zeiten waren jedoch die bildlichen Darstellungen, die einen Text begleiteten, mindestens ebenso wichtig, wenn nicht wichtiger als der Text selbst. Zum einen konnten viele Menschen nicht lesen und schreiben. Die Zahl der des Lesens und Schreibens Kundigen schätzt man im Iran für vormoderne Zeiten (d.h. vor dem 19. Jahrhundert) als sehr gering ein, vielleicht auf 1-2% der Gesamtbevölkerung. Die Textüberlieferung war damals vor allem mündlich geprägt. Der Vortrag und die Darbietung machte das Werk und seine Wirkung in der Gesellschaft aus, weniger seine geschriebene Form. Diejenigen, die sich mit poetischen oder epischen Werken beschäftigten oder diese vortrugen, hatten diese in der Regel auswendig gelernt. (Ähnliches gilt vermutlich auch für das vormoderne Europa, so waren die Darstellungen des Kreuzwegs in den Kirchen das „Buch“, aus dem die meisten – nicht des Lesens kundigen – Christen vom Leiden Jesu erfuhren.)

Die ästhetische Gestaltung einer Handschrift, der Aufbau des Texts im Verhältnis zu den Bildern, die Motivik und Auswahl der Bilder, all dies spielte für die Wirkung einer Handschrift eine große Rolle und sagte viel über den Künstler und seinen Auftraggeber aus: über dessen Verständnis von Literatur, Kunst und Religion. Letzterer war oft ein Herrscher, z.B. im Falle der frühesten Handschriften des Mantiq at-Teyr ein Enkel Timur Lenks (Timurs des Lahmen) namens Iskandar, der von 1405-1414 über Teile Südirans herrschte (zunächst in Yazd, später in Schiraz).

Eine der zentralen Erkenntnisse der Dissertation bezieht sich auf die Entwicklung der Bildersprache der Handschriften des Mantiq at-Teyr im 15. Jahrhundert, für die Frau Sturkenboom eine Unterteilung in drei Phasen vorschlägt. Hierauf wird sie in ihrem folgenden Vortrag genauer eingehen und dies auch mit Bildern veranschaulichen, deshalb will ich dem hier nicht vorgreifen.

Zusammenfassend will ich auf vier Ebenen hinweisen, auf denen die Leistungen dieser Dissertation vor allem zu sehen und hervorzuheben sind:

  • sie erschließt ein immens komplexes und umfangreiches empirisches Material. Frau Sturkenboom hat 25 Mantiq at-Teyr-Handschriften, alle aus dem 15. Jahrhundert bekannten, meist im Original, in über einem Dutzend Bibliotheken eingesehen und genau untersucht (Berlin, Wien, Kopenhagen, Krakau, Paris, London, Oxford, New York, Paris, Rom, Istanbul, weitere drei Bibliotheken in Indien u.v.m.)
  • sie unterzieht jede einzelne dieser Handschriften einer genauen formalen und inhaltlichen Analyse (vor allem in Bezug auf das Verhältnis von Bild zu Text) und versucht dabei, sämtliche manuskriptkundlichen Apekte, die für die Fragestellung relevant sein können, zu berücksichtigen. Diese beeindruckende analytische und Fleißarbeit liegt in dem 2. Band der Arbeit vor, einem „Katalog“ der 25 Handschriften von über 200 Seiten, der für jede einzelne Handschrift eine ausführliche Tabelle zu allen Einzelaspekten enthält
  • sie analysiert die Entwicklung der Bildersprache des Mantiq at-Teyr (ausführlich: siehe der folgende Vortrag von Frau Sturkenboom)
  • darüber hinaus bietet die Dissertation über das Kernthema hinausweisende, sehr interessante Ausblicke auf weitere Kontexte, in denen Handschriften des Mantiq at-Teyr wichtig waren, etwa im Indien des 16. Jahrhunderts oder im kadscharischen Iran (19. Jahrhundert).

Derartige Arbeiten, die ein Werk über eine so große Zahl von Handschriften über einen kompakten Zeitraum umfassend untersuchen, hat es bislang in der islamischen Kunstgeschichte kaum gegeben. Die islamische Kunstgeschichte ist überwiegend immer noch mit der Erschließungsarbeit von einzelnen Werken bzw. Handschriften beschäftigt, mit der Analyse und Zuordnung einzelner Kunstwerke zu Künstlern oder zu Phasen der Kunstgeschichte. In diesem Sinne ist die Dissertation von Ilse Sturkenboom eine außergewöhnliche Pionierarbeit, die gleichzeitig sowohl umfangreiches empirisches Material neu erschließt als auch dieses bereits für eine breit aufgestellte Interpretation nutzbar macht“.