Das amerikanische P.E.N. Zentrum wurde 1922 gegründet und ist das größte von weltweit 144 Zentren in 101 Ländern. P.E.N. ist die Abkürzung für poets essayists novelists, eine internationale Schriftstellervereinigung, die am 5. Oktober 1921 von der englischen Schriftstellerin Catherine Amy Dawson Scott in London gegründet wurde.
Arthur Miller sagte einmal „P.E.N. is the voice of cultures truthfully addressing one another rather than governments or armies in confrontation. The object is not to win something, but to illuminate something.“
Auch in diesem Sinne kann man den Preis verstehen, den der als christlicher Palästinenser geborene Ibrahim Muhawi am 12. Oktober für die Übersetzung des Journal of an Ordinary Grief ¹) seines palästinensischen Freundes Mahmoud Darwish entgegen nehmen konnte. Das autobiographische Buch ist der erste Band einer Trilogie ²) von Prosatexten und wurde zuerst 1971 in Beirut in Arabischer Sprache veröffentlicht. Es ist ein poetisches, symbolisch aufgeladenes und verschlüsseltes Protokoll der Erfahrungen des Autors in Hausarrest, Gefängnis und zahlreichen Vernehmungen. Gleichzeitig liest man den Text als bewegende und intime Abrechnung des politisch engagierten Palästinensers Darwish mit den Kräften, die zum Verlust seiner Heimat führten. Man hat das Buch auch als Metapher für ein Leben „innerhalb poröser Mauern von Besetzung“ verstanden – wahrlich kein gewöhnlicher Kummer.
Der 1941 in einem Dorf des heutigen Nordisrael geborene und am 9. August 2008 in Houston gestorbene Darwish gilt in der arabischen Welt als herausragender zeitgenössischer Dichter sowie als poetische Stimme des palästinensischen Volkes. Viele seiner weit über zwanzig Gedichtbände wurden weltweit in etwa dreißig Sprachen übersetzt. Bei uns ist Darwish kaum bekannt, doch erschienen in deutscher Sprache u.a.: Ein Gedächtnis für das Vergessen (2001), Wo du warst und wo du bist (2004), Belagerungszustand (2005), Der Würfelspieler: Gedicht (2009), Weniger Rosen (2010). Angelika Neuwirth widmete Darwish einen Nachruf in der NZZ vom 14. März 2009, worin sie „nicht nur eine ungewöhnliche Dimension von Darwishs Schaffen erschließt, sondern auch einen Einblick in dessen literarische Qualität vermittelt“.
Bei der Übergabe des Übersetzerpreises, die man hier (etwa ab Punkt 1:05.40h) anschauen kann, zitiert der Moderator aus dem Urteil der Jury:
Ibrahim Muhawi has given us the opportunity to read in English the stunning testimony, Journal of an Ordinary Grief, by the great Palestinian poet, Mahmoud Darwish (1941–2008). Originally published in Arabic in 1973, this collection of autobiographical essays is an extremely important book. (…) It allows us to hear the voice of a people that must be heard, now in particular. Darwish’s masterful, captivating, poetic prose reveals at once the personal and national experience of Israeli Arabs. Through his own story he bares the life of a conquered people, who struggle with deep love of homeland—’distant and near,‘ he says—and longing to return. Muhawi’s translation is a triumph of language. His work is beautifully written in English, based on a text from an entirely ‚other‘ linguistic world. It is a faithful literary translation of the highest caliber that is artfully made of authentic speech with music and cadences true to the Arabic of Darwish.
Muhawi zitiert in seinen kurzen Dankesworten – nur 90 sec. waren erlaubt! – mit bewegter Stimme eine Passage aus dem Vorwort des Autors These Pages.
Ibrahim Muhawi wurde 1937 in Ramallah geboren. Er studierte Englische Literatur an der University of California und lehrte von 1969-80 in diesem Fach an der Brock University in Ontario, der Universität in Amman sowie an der Birzeit Universität in Palästina. In den Jahren 1980-85 forschte er als Fellow des Center for Middle Eastern Studies an der Universität von California für sein Buch palästinensisch-arabischer Volkserzählungen Speak, Bird, Speak Again³) . 1985 lehrte Muhawi am English Department der Universität von Tunis Literaturgeschichte, Übersetzung und vergleichende Literaturwissenschaft. Von 1994-97 war er Gastprofessor am Department of Anthropology, Rhetoric and Near Eastern Studies der Universität von California und kümmerte sich 1997 an der Universität von Edinburgh um ein Master’s Program in Translation Studies. 2002 kehrte Muhawi nach Berkeley als Gastprofessor in Near Eastern Studies zurück. Im akademischen Jahr 2004/05 hielt er Vorlesungen als Allianz Gastprofessor an der LMU München. Danach lehrte Muhawi – im Ruhestand – sporadisch Vergleichende Literaturwissenschaften an der Universität Oregon in Eugene, wo er heute wohnt.
¹ Originaltitel Yawmiyyât al-Âdî. Journal of an Ordinary Grief erschien mit einem Vorwort des Autors 2010 bei Archipelago Books, Brooklyn, ISBN 978-0-9826246-4-7, bei Amazon 12,99 Euro.
² Der zweiten Band Dhâkira lil-Nisyân, ebenfalls von Muhawi übersetzt, erschien im Original 1985, die Übersetzung Memory for Forgetfulness bei University of California Press 1995. Der dritte Band In the Presence of Absence erschien 2006, zwei Jahre vor dem Tod des Autors.
³ Ibrahim Muhawi, Sharif Kanaana Speak, Bird, Speak Again. Palestinian Arab Folktales, University of California Press, Berkeley/Los Angeles/London 1989, 420 S., ISBN 0-520-06292-2, bei Amazon 22,99 Euro. Der Co-Autor Kanaama ist ein Soziologe, der s.Zt. ebenfalls an der Universität in Berkeley lehrte. Das Buch enthält neben einer umfangreichen volkskundlichen Einführung zu Palästina und seiner Volksliteratur ausführliche Kommentare zu den einzelnen (insgesamt 45) Erzählungen sowie zu ihrer Typologie.