Ein Jahr im Iran

Artikel vom 26. März 2019 zuletzt aktualisiert am 29. September 2020

Seit 2015 studiere ich am Institut für den Nahen und Mittleren Osten an der LMU. Meine Schwerpunkte sind die Iranische und Arabische Welt, mittlerweile kam aber auch die Türkische hinzu. Nach einem ersten Aufenthalt im Iran 2016 für einen sechswöchigen Sprachkurs, entschied ich mich also ein weiteres Mal, für längere Zeit im Iran zu bleiben und an der Teheraner Universität ein Jahr als Gaststudentin zu verbringen. Im Folgenden habe ich meine Erfahrungen, welche ich in dieser Zeit gemacht habe, aufgeschrieben.

Ein Jahr Studium in Teheran

Eine Gruppe von etwa einem Dutzend Studenten, weiblich wie männlich, hat sich zu einem gemeinsamen Abendessen zusammengefunden, auch um Gesellschaftsspiele zu spielen oder Gedichte zu lesen. Keine der Frauen trägt ein Kopftuch und alle haben sich umgezogen und tragen nun bequeme Kleidung, Jogginghosen und T-Shirts. Zum Essen haben einige der Jungs, die im Haus wohnen, Makkaroni gekocht, die Persische Interpretation von Spaghetti Bolognese. Es ist eine lockere Stimmung, eines der Mädchen liegt ihrem besten Freund im Arm. Auch Alkohol gibt es, der zuvor von jemandem geholt wurde. Ich lasse jedoch lieber meine Finger davon, da er selbstgemacht und deutlich stärker ist, als Wodka in Deutschland. Die Runde unterscheidet sich einzig dadurch von einer Freundesgruppe in Deutschland, dass die Mädchen erst kamen als es dunkel war, und schnell eingelassen wurden, ohne dass die Nachbarn aufmerksam wurden, und dass sie bis zum kommenden Tag nachmittags das Haus aus eben diesem Grund nicht verlassen werden. Die jungen Männer jedoch besorgen noch einmal Chips und Softdrinks sowie Obst. Je später es wird, desto ruhiger werden alle und von den Gesellschaftsspielen wird zum Lesen von Gedichten und literarischen Texten übergegangen. Alle lachen sehr darüber, dass – verglichen mit dem Persischen – in den Ohren der Iraner die deutschen Gedichte so gar keine Musikalität haben (was auch meiner Meinung entspricht, seit ich persische Gedichte gehört habe). Kaum vorzustellen, dass sich deutsche Studenten abends auf einer privaten Party gegenseitig Poesie vortragen, oder? Außerdem wird ausführlich darüber diskutiert, ob dieser und jener Schriftsteller unterschwellig die Politik kritisiert oder ob ein anderer nicht seine Texte viel zu simpel verfasst.

An einem anderen Abend, einem Freitag diesmal, bin ich mit einer anderen Gruppe von Studenten unterwegs, circa 20 junge Leute sind wir. Wir gehen von Galerie zu Galerie und sehen uns die neusten Ausstellungen an. Normalerweise um 16 Uhr beginnend, bis etwa 20 Uhr. Ausstellungen gibt es in Teheran viele, das sind die Treffpunkte der Alternativen, der Jungen und jung-gebliebenen, der Künstler und Studenten. Alle Frauen sind sehr schick gekleidet und trotzen den Vorschriften über die Länge der Kleidung und dem obligatorischen Bedecken der Haare. Es fällt auf, dass schon im Vergleich zum Vorjahr die Mäntel kürzer sind und die Kopftücher und Schals deutlich weiter hinten auf dem Haar sitzen. Ich bin wohl noch am ehesten gemäß Vorschrift gekleidet. Nach dem Besuch der qualitativ durchaus guten Ausstellungen gehen wir in eines der Cafés, die seit ein paar Jahren eines nach dem anderen aus dem Boden zu schießen scheinen. Dort essen wir zu Abend, diskutieren über Gott und die Welt, mitunter auch über Politik. Generell fällt mir auf, dass die Iraner gern über alles reden, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen. Es ist wohl so, wie eine Freundin sagte: Jeder redet über alles und dabei wird so viel gesprochen, dass sich keiner dafür interessiert. Das sagte sie, als ich fragte ob denn niemand fürchte, Probleme zu bekommen, wenn Kritik an Regierung geäußert würde.
Vielleicht erklärt das auch die Offenheit, Neugier und das Redevermögen der Taxifahrer, die oft Studenten oder Rentner zu sein scheinen, oder Akademiker die zu ihrem Beruf etwas dazuverdienen müssen. Denn Teheraner Mietpreise sind, bedingt durch die Metropolstellung der Stadt, sehr hoch.

Im Gegensatz zu meinem kürzeren Aufenthalt in 2016, der rückblickend eher wie eine Mischung aus Sprachkurs und Urlaub anmutet, habe ich nun die Möglichkeit, mit einem tieferen Blick in die Gesellschaft und das Leben der Iraner einzutauchen. Weitere Reisen werde ich auf die Ferien zu Neujahr und die letzten drei Monate meines Aufenthaltes im Iran beschränken, da die Universität eine Menge abverlangt. Auch das überrascht mich: Iranistik ist an der Uni Teheran sehr politisch und wirtschaftlich orientiert. Neben Fächern wie Shia-Studien und Iran und Islam (wobei sich letzteres ausschließlich auf die Orientalismus-Debatte bezieht), studieren wir Internationale Politik, Iran und die Großmächte, Politische Geographie, Geschichte der Wirtschaft Irans oder Politik und governance in Iran. Das lässt mich etwas die eher historisch „angehauchten“ oder rein Literarischen Kurse an der LMU vermissen. Bemerkenswert ist, dass sich die Fakultät für Weltstudien der Universität Teheran sehr weltoffen zeigt. Man kann mit den Professoren über alles diskutieren, und zu allen Themen, inklusive Homosexualität, den Iranischen Interventionen in Syrien oder dem Atomabkommen Fragen stellen, auch wenn – wie man zugeben muss – nicht alle Professoren und Professorinnen mit uns einer Meinung sind oder uns befriedigend antworten; aber ich war wirklich darüber verwundert, dass sie in der Minderheit sind. Die Kurse werden alle in Englischer Sprache abgehalten, was ich anfangs mit großem Bedauern feststellte; allerdings gibt es einen intensiven Persisch-Unterricht dreimal die Woche am Vormittag von 8:00 bis 13:00 Uhr. Im Großen und Ganzen ist dieser Kurs gut. Wir lesen Zeitungsartikel und Kurzgeschichten, diskutieren über Filme in persischer Sprache, die wir uns als „Hausaufgabe“ ansehen sollen. In dieser Fakultät gibt es neben den ausländischen Studenten, die Iranistik studieren, auch die Seminare Deutsche Studien, Nordamerika-Studien, sowie Indologie, Palästina-Studien und weitere Bereiche, die sich mit der spanisch-sprachigen Welt, mit Asien oder Frankreich befassen. Alle Iraner, die dort studieren, lernen die jeweils zugehörigen Sprachen, und deren Niveau ist verglichen mit den Muttersprachlern fast gleich. Ich hoffe sehr, dass mein Persisch und Arabisch da eines Tages mithalten kann!

Teheraner Metro

Am interessantesten an meinen Fächern ist es, die Iranische Sichtweise zu verschiedenen Themen der Weltpolitik zu erfahren, oder auch, wie die Politik versucht, die Ethnien, Religionen und Kulturen innerhalb des Landes unter einen Hut zu bringen, ohne dass täglich ein immenses politisches Chaos herrscht. Allgemein interessant ist, dass ich mittlerweile viele Freunde und Bekannte aus den unterschiedlichsten Gesellschaftskreisen und Hintergründen habe; dafür herrscht große Offenheit. Da ist ein Mädchen, das Medizin studiert und philosophische Diskussionskreise mit Freunden organisiert, sich zugleich
zum Islam bekennt und aus eigener Entscheidung den Tschador trägt. Da ist ein Mädchen, das Modedesign studiert, Kurdisch mit ihren Eltern telefoniert und gefühlt täglich ihre Meinung zu ihrem Freund ändert. Mal ist sie wütend und flucht, mal ist sie aufgedreht und glücklich. Was man im Iran definitiv nicht kann ist, vom Aussehen und der Kleidung her über die Einstellung der Menschen oder ihre Herkunft zu urteilen. Das einzige was sich vielleicht erraten lässt ist, aus welcher Gegend des Landes jemand kommt, doch nur dann, wenn die Leute die traditionelle Kleidung ihrer Provinz tragen. Manchmal erkennt man so auch ethnische Zugehörigkeiten, zum Beispiel bei den turkmenischen Frauen aus dem Nord-Westen, die ihre Kopftücher auf eigene Art tragen, oder den Bandaris im Süden, die sich bunt und manchmal mit für den Persischen Golf typischen Gesichtsmasken kleiden.

Wen es interessiert: Von den Demonstrationen im Dezember und Januar habe ich persönlich nur etwas über die sozialen Medien mitbekommen, oder dadurch, dass einige Haltestellen der U-Bahn nicht immer zugänglich waren. Meine persischen Freunde meinten, ich solle es ihnen einfach für ein paar Tage gleichtun und die Plätze um den Enqhelab-Platz oder den Meidun-e Vali-Asr meiden. Generell legen sich Unruhen in Teheran schnell wieder, schneller als in anderen Teilen des Landes. Jedoch bemerkte man der B, dass am Tag der Revolution weniger Leute an der Parade durch die Stadt teilnahmen. Mittlerweile hat sich auch der immense Anstieg des Wechselkurses von Euro zu Rial etwas erholt, der Kurs hatte ein waghalsiges auf und ab hinter sich.

Qeschm
März/April 2018: In den Semesterferien nutzte ich die letzte Gelegenheit, bevor es unerträglich heiß wurde und kein bei Verstand gebliebener Mensch – es sei denn, er kommt selbst aus dem Süden Irans – an den Persischen Golf zu fliegen, genauer gesagt auf die Insel Qeschm. Ursprünglich wollte ich anschließend weiter nach Ahvaz, in den Südwesten Irans. Dieser Plan scheiterte aber an der Unmöglichkeit, kurzfristig einen Platz in irgendeinem Transportmittel um die Zeit des Persischen Neujahrs, Nowrooz zu bekommen. So blieb ich also statt einer, volle zwei Wochen auf der Insel und konnte dort das Persische Neujahrsfest am 21. März feiern.
Die Kultur auf der Insel ist etwas schwierig zu beschreiben. Die Mehrheit der Bevölkerung gehört der Sunnitischen Glaubensrichtung an, nicht der Shia, bekanntlich die “Staatsreligion” Irans. Die Frauen tragen bunte Kleider und Hosen, meist kunstvoll bestickt an Ärmeln und Beinen, darüber Tücher, die ebenso bunt sind. Manche Frauen tragen auch kunstvoll bestickte Masken aus Stoff, oder aus bearbeitetem Leder, die weite Teile ihrer Gesichter verdecken; dies sieht man jedoch immer seltener. Die Zeit, die ich auf Qeschm und auf Hormuz, einer nahen weitaus kleineren Insel, verbrachte war geradezu atemberaubend. Nicht nur, weil ich so gerne Fisch und Garnelen esse, oder auch Datteln in Sesampaste zum Tee, sondern vor allem wegen des vielfältigen Charakters der beiden Inseln. So ist Hormuz bekannt für die verschiedensten Gesteine und roten, schwarz glitzernden oder gar grünblauen Sand, Qeschm für den riesigen Mangrovenwald, die portugiesischen Burgen und die berühmte Salzhöhle sowie wunderschöne Strände.

Unter vielen aus dem Land selbst angereisten Touristen, traf ich in der ganzen Zeit nur einen Franzosen, der iranische Freunde begleitete. Es ist schon eigenartig, dass die Gegend nicht zu den klassischen Reiserouten “westlicher” Touristen gehört, obwohl es so viel zu sehen gibt und die Kultur so andersartig ist. Könnte man doch sagen, dass sich hier afrikanische, indische, iranische und arabische Einflüsse ineinander verwoben haben und die Insel unglaublich geheimnisvoll ist. So behaupten manche Bewohner, Qeschm sei von Geistern, sogenannten Djinns bewohnt.

Eine Herberge fand ich in einer Art “Homestay” in einem kleineren Dorf. Dort lernte ich auch zwei Teheraner Familien kennen – ein Künstlerehepaar mit ihrer 11-jährigen Tochter sowie einen iranischen Biologiestudenten, der in Jena studiert und mit seinen Eltern auf die Insel gekommen war.
Ich besuchte mehrfach den Mangrovenwald, besichtigte ein Museum für die teilweise noch bis heute verwendeten Holzfähren und einen Teil der größten Salzhöhle der Erde. Ich wanderte, durch “Canyons”, sah dort natürliche Süßwasserbrunnen, unterhielt mich auf Hormuz mit einem Künstler, der vor vielen Jahren mit seiner Frau von Teheran in den Südenbbauf die Insel zog, um dort ein Museum zu errichten. Ich erlebte, wie der jedes Jahr neu von Künstlern gefertigte “Teppich” aus Sand nach nur wenigen Tagen erneut vom Wasser in das Meer gespült wurde; er zeigt jedes Mal andere Fabelgeschichten der Region und vieles mehr.
Auch der kleine Ort Laft auf der Insel Qeschm war wegen seiner historischen Monumente und einem alten von Geistern besessenen Friedhof einen Abstecher wert. Darüber gibt es einen schaurigen Film, der sich um die örtlichen Mythen dreht. Dort bei einem Lagerfeuer nachts den Sternenhimmel zu beobachten, war auch ein besonderes Erlebnis.

Nachdem ich am Donnerstag vor dem Neujahrsfest noch bei Freunden in Teheran am Chaharshanbe Suri über das Feuer sprang und die Feuerwerke, die in ganz Teheran überall zu sehen und hören waren erlebt hatte, verbrachte ich nun auf Qeschm das Neujahrsfest in eher improvisierter Atmosphäre. Das hieß allerdings nicht, dass wir kein Haft Sin gehabt hätten. Das Haft Sin (zu Deutsch “7 S”) bedeutet, dass auf einen Tisch sieben oder auch mehr Gegenstände gelegt werden, die für das kommende Jahr Glück, Erfolg, Gesundheit etc. garantieren sollen. Bei uns befanden sich ein kleiner Blumentopf mit Gras, ein Schälchen voll Geld, bunt bemalte Eier, Datteln, ein Fisch (anstelle lebender Goldfische war es eine Figur), Äpfel, eine Nussmischung, Essig, Knoblauch, der Koran und eine Paste, die Samano genannt wird und aus sieben Sorten Getreide besteht, dessen Sprossen, vom Grün getrennt, 7 mal im Mörser zerstampft und 40 Mal aufgekocht werden. Dazu wurde noch ein Spiegel gestellt sowie Kerzen und gemischte Knabbereien. Die Touristen aus dem Iran feierten in der Unterkunft, die Einheimischen machten aus Spaß mit, weil ihr Kalender ja nur formell dem Iranischen entspricht, ihnen der arabische jedoch wichtiger ist, und daher ihr Neujahrsfest auf ein anderes Datum fällt. Man tanzte zu einheimischen Klängen in die Nacht, man unterhielt sich und lachte, machte Fotos und wünschte sich gegenseitig alles Gute für alles, was im neuen Jahr kommen mag.

Ich freundete mich rasch mit den Menschen an und konnte mich auch mit den Frauen, die in dem kleinen Ort wohnten und sich um die Unterkunft kümmerten, unterhalten und nicht zuletzt auch mit den vielen Kindern, die auf die Dächer kletterten oder im Hof spielten. Sie leben vor allem vom (Binnen-) Tourismus und Fischfang. Die Mädchen gehen in die Schule und träumen z.B. vom Studium der Meeresbiologie. Ob dieser Traum einmal wahr wird, hängt vor allem davon ab, was der Vater und der zukünftige Ehemann davon halten. Generell kann man feststellen, dass die Menschen hier traditioneller erscheinen als im übrigen Iran, den ich bereiste. Die Familien haben viele Kinder und die Mädchen heiraten sehr jung. Dennoch hat mich überrascht, wie sehr sich die Menschen ihrem Land verbunden fühlen. Obwohl sie in unmittelbarer Nähe zu den arabischen Ländern leben, wo manch ein Fischer sogar zur Schule ging, so werden auch hier, in einer traditionellen, einfachen und sunnitischen Umgebung Texte Persischer Nationaldichter rezitiert, man feiert mit den meist eher alternativen Touristen gemeinsam Neujahr, und sieht über die teils herablassende Attitüde der Teheraner Besucher aus dem Norden hinweg. Über deren Art ärgerte ich mich eines Abends, als ich mit den Kindern und dem Biologiestudenten beisammensaß und jemand im Vorbeigehen recht von oben herab sagte “ihr seht ja aus wie UNESCO”. Mir war unter anderem aufgefallen, dass besonders eines der Mädchen im Alter von 6 schon einen sehr klaren, hellen Verstand hatte.

Shomal
Juli 2018: Langsam, eingereiht in die Autokolonne, mit der die Menschen bereits verfrüht für ein verlängertes Wochenende der großen heißen Metropole Teheran in den Norden entfliehen, finde auch ich mich im Auto einer guten Freundin, zusammen mit deren Tochter und Bruder wieder. Je weiter wir uns von der Stadt entfernen an diesem Vormittag, desto grüner wird es, wir passieren den Staudamm in den Bergen oberhalb Teherans, der die Stadt mit dem kostbaren Nass speist. Tschalus ist unser erstes Ziel, gelegen am Kaspischen Meer. Je weiter wir dem Weg folgen, desto kühler und frischer wird die – für deutsche Verhältnisse nach wie vor sommerliche – Luft. Wir schalten die Klimaanlage aus und öffnen die Fenster nachdem alle Tunnel – teils noch von Hand gegraben zur Zeit des Shahs – passiert wurden. Fünf Stunden dauert unsere Fahrt bis wir zum ersten mal  das Meer sehen. Wir beginnen die kleine Reise entlang des Kaspischen Meers mit Mazanderan,  folgen dann diesem Weg abgesehen von einigen kürzeren Abstechern in die Bergregion oder dem Besuch wunderschöner aber total überlaufener Strände, dann in die Provinz Gilan, von wo aus wir nach dem Besuch derer Hauptstadt Rascht den Rückweg nach Teheran antreten werden.

Am Nachmittag halten wir in einer Stadt, nachdem wir für einige Zeit einem voll besetzten kleinen Peugeot folgten, in dem wir durch die Rückscheibe die weißen und schwarzen Turbane von Religionsgelehrten sahen. Die Autonummer verriet, dass sie wohl aus der Hauptstadt der religiösen Gelehrsamkeit des Landes – Qom – kamen. Wir hielten in der nächsten Stadt, um Eiscreme zu essen und fuhren dann weiter, um noch zu angenehmer Zeit in Ramsar anzukommen, wo wir nach dem Abendessen und einem Spaziergang am dunklen verlassenen Strand die erste Nacht verbrachten. Am kommenden Tag machten wir einen Ausflug in die Berge, nicht weit vom Meer, wo wir unglaublich gutes Essen mit einem wunderbaren Ausblick genossen. Auf dem Rückweg zum Meer tranken wir Tee, den eine Frau mittleren Alters an einem Stand neben der Straße auf Kohlen zubereitete; mit eigenem rauchiger Geschmack, der immer zu den Kurztrips der Teheraner in den Norden zu gehören scheint. Auch aßen wir Balal, die Maiskolben die ebenso direkt neben der Straße gegrillt werden und hier viel größer sind als in der Hauptstadt.

Am Nachmittag in Chankhaleh, wo wir aufs Wasser und durch die Kanäle fuhren, die es dort gibt. Überragt wurden diese von den Flammen einer Erdölförderanlage. Die Teheraner sind bekannt dafür, sich an den steilsten Hängen im Norden oder in der Nähe des Kaspischen Meers Villen zu bauen, die sich nicht selten an architektonischer Geschmacklosigkeit überbieten; ein Wunder, dass sie bei den immer mal wiederkehrenden Erdbeben bisher noch nicht “abstürzten”. Auch kann man Relikte der Schah-Zeit finden, wie zum Beispiel ehemalige Casinos, heute Hotels, die mich an jene erinnerten, die ich in der Normandie am Strand gesehen hatte. Ebenso sah ich, wie im Iran Tee und Reis angebaut werden, oder die noch grünen, aber bereits groß gewordenen Granatäpfel bewundern, die immer wieder in Gärten oder auch wild am Rand der Straße wuchsen. Nach einer weiteren Nacht in Larijan besuchten wir Masuleh, ein Bergdorf mit verschachtelten Gässchen, dessen Hausdächer die Terrasse des nächsten Hauses bildeten. Leider muss man sagen, ist der Ort voller iranischer Touristen, und entlang der größeren Gassen ähnelt er dem Weg auf den Berg Mont-Saint-Michel in Frankreich. Ein Lädchen wechselte sich mit dem nächsten oder einem Café ab, die alle das verkaufen, was man überall im Iran als klassische Mitbringsel von Kurzausflügen findet. Interessant jedoch waren die kunstvoll mit Schnitzereien verzierten Fenster und die grün gestrichene Moschee.

Nach diesem letzten, nach vielen anderen “Sightseeing Spots”, darunter Wasserfällen oder Flussläufen, an denen wir Picknick machten, besuchten wir die – abgesehen von der kleinen Altstadt – weniger attraktive Stadt Rascht, und machten uns auf den sechsstündigen Rückweg nach Teheran.

Gastfreundschaft ist ein wesentliches Element der persischen Kultur, weshalb meiner Freundin schon lange daran gelegen war, mir auf dieser Reise in Begleitung ihres Bruders die nördlichen Regionen Irans zu zeigen, und zwar so weit es in drei Tagen überhaupt möglich ist. Wir hörten viel persische Musik und tratschten über die zur Schau gestellte „Dekadenz“ der Teheraner und ihrer Villen in den Bergen, wo das Klima im Hochsommer erträglicher ist. Ich hoffe sehr, ein weiteres Mal und mit mehr Ruhe länger dort verweilen zu können, da die Shomalis (“Nordener” wie sie im Persischen genannt werden) im Vergleich zu den Menschen in  anderen Orten des Landes eine andere Lebensweise und eigene Tradition besitzen.

Sistan Belutschistan
August 2018: Ein weiteres Highlight meines Aufenthalts war die Einladung in die Provinz Sistan Belutschistan, genauer in die Stadt Zahedan im Südosten Irans. Die Provinz hat Grenzen mit Pakistan und Afghanistan, deshalb kommt man auf den Autobahnen immer wieder an militärischen Posten und Sperren vorbei. Hier gibt es eine weitere ethnische Minderheit, die Belutschen. Das Gebiet, in dem sie leben, erstreckt sich über Teile Irans, Pakistans und Afghanistans. Was mir im Straßenbild am meisten ins Auge fiel ist die männliche Dominanz unter der Bevölkerung. Frauen sieht man meist in Begleitung weiterer Frauen, Kindern oder Männern und sie tragen alle schwarze Tschadors über ihren reich bestickten Kleidern; vereinzelt sieht man auch Gesichtsschleier.

Die “Perser” sind hier in der Minderheit, doch sieht man sie im Nördlichen Teil der Provinz häufiger als in deren Süden. Zahedan ist eine mittlerweile von der Trockenheit arg geplagte Stadt, kaum zu glauben, wenn man im Shah Nameh davon liest wie grün es hier einmal war, und dass diese Gegend die Kornkammer Irans gewesen sein soll. Das Wasser ist rationiert; die Haushalte erhalten von der Stadt einige Stunden am Tag Wasser über die Leitungen. Doch viele besitzen im Hof eine Pumpe, mit der sie sich zusätzlich Grundwasser beschaffen, das in siloartigen Plastiktanks gespeichert wird. Wenn dieser Vorrat zu Ende geht, weil zu viel für Spülen, Waschen und Putzen verbraucht wurde, gibt es in der Küche noch Wasser in Plastikkanistern, das dem Kochen und dem Zubereiten von Tee dient.

Die persische Bevölkerung hat keine gute Meinung über die Belutschen, die als einfache Leute gelten und manchmal sogar als Diebe bezeichnet werden. In ein Sammeltaxi steigt man nicht selten nur dann ein, wenn der Fahrer nicht zu den Belutschen zu gehören scheint – aus Sicherheitsgründen, wie man mir sagte. Derzeit ist die Lage offenbar relativ sicher, je nachdem wohin man sich begibt allerdings wurde mir auch davon berichtet, dass vor einigen Jahren eine Verwandte meiner Gastfamilie von Zabol nach Zahedan mit dem Bus unterwegs gewesen sei, der auf halber Strecke angehalten wurde und man sie nur deshalb nicht erschossen habe, weil sie belutschische Kleidung trug. Anscheinend gibt es nach wie vor Episoden von geringerer Sicherheit.

Die Menschen dort sind besonders gastfreundlich und ich wurde in der Familie, die ich besuchte, wie eine weitere Tochter aufgenommen. Besonders glücklich war ich, dass ich zum UNESCO Welt Kulturerbe gehörenden archäologischen Fundort Shahre Sukhte (zu Deutsch Verbrannte Stadt) fahren konnte, wo wir die einzigen Besucher waren. Ausländische Touristen kommen wohl aus Sicherheitsgründen weniger in diese Gegend. Während der Woche, in der ich bei der Familie zu Gast sein durfte, sah ich lediglich einmal zwei Damen im Bazar, die wohl aus Deutschland gekommen waren.

Auf dem Weg nach Shahre Sukhte erlebten wir einen kleineren Sandsturm; wie in einem dichten Nebel konnte man nur noch die nächsten 20 Meter der Straße vor dem Auto erkennen, alles andere wurde grau und unwirklich. Wir kamen auch an einem ausgetrockneten Fluss vorbei, der vor 20 bis 30 Jahren noch etwas Wasser geführt haben soll. Damals wurde er wohl vom Harun gespeist, einem Fluss, der mittlerweile so gut wie kein Wasser mehr in sein Mündungsgebiet im Iran fließen lässt, da er durch Staudämme in Afghanistan aufgehalten wird.

Die Bewohner der Provinz Sistan Belutschistan haben nicht nur Probleme mit dem Wasser, sondern man sieht viel mehr Armut als sonst im Iran. Die Häuser und Gärten sehen ärmlich aus, das Leben ist einfacher, weniger “luxuriös”. Auch las ich davon, dass der Bildungszugang äußerst schwierig ist. Neben der Besichtigung des Archäologischen Museums und der Shahre Sukhte war die Aufnahme in eine Iranischen Familie ein ganz besonderes Erlebnis. Die Familie war gerade recht vollzählig versammelt, weil einige Mitglieder wegen der Schulferien aus einer anderen Provinz und eine der Töchter aus Deutschland zu Besuch gekommen waren. Wir haben viel zusammen unternommen, einen Geburtstag gefeiert, Freunde und Verwandte besucht.

Ich konnte mich an den dortigen Dialekt des Persischen nach ein paar Tagen gewöhnen und alles recht gut verstehen. Lebhaft erinnere ich mich an die Gespräche über das Leben in unterschiedlichen Kulturen im Iran und im „Westen“, religiöse Identität und die Stellung der Frau, über Philosophie, Kultur im Allgemeinen, wie auch über die Probleme in der Provinz, bis hin zum Brain-Drain, der den Iran bereits seit längerem plagt. Die Gespräche waren sehr gehaltvoll und es wurden viele Ideen und interessante Fragestellungen aufgeworfen.

Zum Abschied erlebte ich noch ein traditionelles iranisches Abschiedsritual, bei dem hinter dem Rücken des Abreisenden Wasser verschüttet wird, als Zeichen dafür, dass er in Zukunft wohl behalten wiederkehren möge. Es waren wunderbare Tage, die mich der iranischen Kultur noch ein Stück nähergebracht haben. Auf jeden Fall möchte ich diese Provinz erneut besuchen und besser kennenlernen. Immer noch bin ich dankbar für die Einladung und die Offenheit, die ich in der gastlichen Familie erfuhr.

Gedanken zu meiner Rückkehr
Mittlerweile neigt sich mein Aufenthalt dem Ende zu und ich bin hauptsächlich mit organisatorischen Dingen und damit, mich von meinen Freunden zu verabschieden beschäftigt. Es war ein Jahr voller neuer Erfahrungen und unglaublich netten, hilfsbereiten, aufgeschlossenen und intelligenten Menschen. Auch wenn ich dieses Mal einen differenzierteren Blick auf das Land hatte und erstmals auch unliebsame Seiten entdeckte, konnte ich dem lockereren und entspannten Art des Umgangs miteinander in diesem Land vieles abgewinnen; auch wenn ich unsere Pünktlichkeit und Genauigkeit in Deutschland hoch schätze. Andererseits habe ich gelernt, die rosarote Brille, die so viele bei ihrem ersten Besuch im Iran – und vielleicht nicht nur dort, sondern auch in anderen “exotischen” Ländern – aufsetzen, abzunehmen und kritischer auf Gegebenheiten einzugehen.

Allerdings sind mir die Menschen und ihre vielfältige Kultur und die Kunst, Literatur und Geschichte Irans immer mehr ans Herz gewachsen. Ich würde mir für die Zukunft wünschen, dass sich die ökonomische Lage der Menschen verbessert und die unterschwellige Angst vor Konflikten, allen voran mit den USA vorüberzieht und sich auf diplomatischen Wegen beruhigt. Leider wird in der Politik viel zu oft nur an Eigeninteressen gedacht, und nicht daran, dass wir alle Menschen sind auf demselben Planeten leben, und wir alle weder besser noch schlechter als andere sind. Bei uns wird der Iran nur all zu oft rein politisch auseinandergenommen und alle dort lebenden Menschen unter den Tisch gekehrt, ohne sich mit der Diversität und den individuellen Bedürfnissen, Träumen und Geschichten auseinanderzusetzten. Mit einem lachenden und weinenden Auge sehe ich also meiner Rückkehr entgegen. Ich freue mich auf meine Familie, Freunde und Bekannte in Deutschland, auf die Uni und meine eigene Wohnung. Dennoch lasse ich neben den alltäglichen Kleinigkeiten und Naschereien, welche es bei uns nicht gibt, viele Freunde und Bekannte im Iran zurück, die ich sehr vermissen werde.