Frühe Geschichte der Gesellschaft und die ersten 20 Jahre

Artikel vom 2. November 2010 zuletzt aktualisiert am 24. April 2013

Ende der achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts bestanden in München drei Vereine, die sich in gewisser Breite mit der Kunst und Kultur des „Morgenlandes“ beschäftigten – um in der Diktion der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft (gegr. 1845) zu sprechen – und die heute noch aktiv sind:

  • Die traditionsreiche Gesellschaft für Asiatische Kunst und Kultur e.V., ein 1948 wiedergegründeter Verein, dessen Wurzeln bis in das Jahr 1926 zurückreichen und letztlich aus der Berliner „Gesellschaft für Ostasiatische Kunst“ hervorgegangen war. Die Gesellschaft ist unter dem Vorsitz von Prof. Dr. Walter Raunig, dem Direktor a.D. des Staatlichen Museums für Völkerkunde, unverändert eng mit dem Museum verbunden.
  • Der 1981 gegründete Freundes- und Förderkreis des staatlichen Museums für Völkerkunde e.V. mit einem großen Mitgliederbestand, dessen Budget – immer wieder angereichert durch Erbschaften und Stiftungen – das Museum wichtige Erwerbungen verdankt.
  • Der ebenfalls 1981 gegründete Euro-Arabische Freundschaftskreis e.V., der nicht nur dem Austausch von Erfahrungen dient, die seine Mitglieder bei Reisen in den Vorderen Orient gewinnen, sondern auch mit Vorträgen und anderen Veranstaltungen in die Öffentlichkeit hinein wirkt.
Dr. Peter W. Schienerl, Mai 1999 (phot. Ise Billig)
Dr. Peter W. Schienerl, Mai 1999 (phot. Ise Billig)

Am Staatlichen Museum für Völkerkunde in München arbeitete in der Zeit vom 1. November 1987 bis in den Spätherbst des folgenden Jahres Dr. Peter Wolfgang Schienerl, der Ende 1940 in Wien geboren wurde, dort und an der amerikanischen Universität Kairo Klassische Archäologie, Byzantinistik, Orientalistik, Ethnologie, Geschichte und Kunstgeschichte studiert hatte, und an der Wiener Universität mit der Arbeit „Die antiken Wurzeln des volkstümlichen ägyptischen Schmucks“ promoviert wurde. Er war zeitweise als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Kairo tätig, lebte und arbeitete dort freiberuflich wohl bis etwa Mitte der 80-iger Jahre und hatte früh mit der Sammlung völkerkundlich bedeutsamer Objekte und Erzeugnissen des Kunsthandwerks aus dem islamischen Kulturkreis begonnen, wobei islamische Amulette einen wichtigen Schwerpunkt bildeten. Seine Sammlung und die umfangreiche Bibliothek gelangten nach Schienerls Tod am 3. April 2001 aufgrund einer testamentarischen Verfügung in den Besitz des Museums für Völkerkunde Dresden *).

Wohl im Umfeld von Vorträgen aus seinem Fachgebiet, die Schienerl gelegentlich im Münchner Museum hielt, sammelte sich um ihn eine Gruppe von Zuhörern, die sich als besondere Freunde der islamischen Kunst und Kultur eine eigene Institution mit Aktivitäten zum Schwerpunkt ihrer Interessen wünschten.

Schienerls Sammlung enthält auch kuriose Objekte (phot. Ise Billig)
Schienerls Sammlung enthält auch kuriose Objekte (phot. Ise Billig)

So fand am 18. Oktober 1989 auf Einladung Dr. Schienerls im Museum die Gründungsversammlung unserer Gesellschaft statt, an der vierzehn Damen und Herrn persönlich teilnahmen und eine weitere durch Vollmacht vertreten war; die meisten sind noch heute Mitglieder der Gesellschaft.

Der offenbar in der Gründungsversammlung bestimmte Vorstand bestand lt. der am 3. April 1990 erfolgten Eintragung im Vereinsregister aus Dr. Peter W. Schienerl als 1. und Dr. Leonie von Wilckens als 2. Vorsitzenden. Weitere Vorstandsmitglieder waren die Herren Abdul-Rasheed Khan, Christian Erber und Dr. Laszlo Vajda. Nicht zuletzt auf Grund einer Notiz in der Süddeutschen Zeitung vom 10. November 1989 unter der Überschrift „Freunde des Islam vereinigen sich“ sowie der bald einsetzenden Vortragsaktivitäten, wuchs die Gesellschaft relativ rasch über die zwei Dutzend Personen hinaus, die zur Gründungsversammlung eingeladen worden waren. Nach etwa einem Jahr, bei der Mitgliederversammlung am 29. Januar 1991, waren bereits 96 Personen als Mitglieder registriert.

In dieser Mitgliederversammlung wurde ein neuer Vorstand gewählt, der den im Protokoll so genannten „provisorischen Vorstand“ aus dem Jahre 1990 ablöste und aus den Herren Dipl.-Ing. Christian Erber, A.R.Khan, Dipl.-Ing. Dietmar Preisler, Prof. Dr. Marcell Restle und Dr. Peter W. Schienerl bestand.

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Von diesem Gremium hat sich im Nachlass Schienerl ein Foto erhalten, auf dem die Protagonisten forsch in die Zukunft schauen; auf dem hier veröffentlichten sind allerdings nur vier der Herren zu sehen

Von diesem Gremium hat sich im Nachlass  Schienerl ein Foto erhalten, auf dem die Protagonisten forsch in die Zukunft schauen; auf dem hier veröffentlichten sind allerdings nur vier der Herren zu sehen (v.l.n.r. RESTLE, KHAN, SCHIENERL und PREISLER).

Die weitere Geschichte der Gesellschaft hat Max Leonhard, der heutige Erste Vorsitzende der Gesellschaft, in seiner Festansprache anläßlich des 20-jährigen Jubiläums im Internationalen Begegnungszentrum Wissenschaft in München am 26. Oktober 2009, wie folgt dargestellt:

„Bis vor wenigen Tagen, war es unsere Absicht, heute zwei Jubiläen zu begehen, nämlich das Nizami-Gedenkjahr und das 20-jährige Jubiläum der Gründung unserer Gesellschaft. Die Gedanken zum Nizami-Gedenken können leider nicht vorgetragen werden, weil Professor Bürgel seinen Vortrag absagen musste. Professor Shalem war so freundlich, kurzfristig einzuspringen und einen Vortrag über die „Kasel des Thomas Becket von Canterbury“ zu halten.

Es ist wohl angebracht, heute Abend zunächst einen kurzen Überblick über die Entwicklung der Gesellschaft zu geben – auch wenn Sie die wichtigsten Ereignisse in ihren Jahrbüchern nachlesen können; die sind übrigens alle noch erhältlich. Ich werde mich auf markanter Punkte im Verlauf der letzten 20 Jahre beschränken (der Text wurde hier um die oben behandelten Themen gekürzt).

Auch Prof. Meinecke, einer der legendären Direktoren des Berliner Museums für Islamische Kunst, war unser Gast
Auch Prof. Meinecke, einer der legendären Direktoren des Berliner Museums für Islamische Kunst, war unser Gast

Als erster Vorsitzender übernahm Dr. Peter W. Schienerl die Leitung der Gesellschaft; er wurde 1996 als Vorsitzender von Werner Joseph Pich abgelöst, dessen fast zehnjährige erfolgreiche Vorstandschaft damals begann.

In den Chroniken der folgenden Jahre wird von Führungen, Symposien, Workshops und von der sich verstärkenden Zusammenarbeit mit der LMU und anderen Institutionen wie der Deutsch Türkischen Gesellschaft Bayern berichtet. 1994 und 1998 konnten die Jahrbücher II und III publiziert werden. Im Jahr 2000 entsprach die Gesellschaft erstmals ihrem Satzungsauftrag zur Veranstaltung von Ausstellungen: Im Bayerischen Armeemuseum in Ingolstadt fand aus Anlass des 10-jährigen Bestehens der Gesellschaft von Mai bis November die Ausstellung „Islamische Kunst aus privaten Sammlungen in Deutschland“ statt, zusammengetragen aus dem Besitz der Mitglieder der Gesellschaft und von Dr. Birgit Borkopp-Restle und Prof. Marcell Restle kuratiert. Etwa 16 000 Besucher, viele aus der islamischen Welt, besuchten die von einem großformatigen Katalog begleitete Ausstellung, die auch in den Medien starke Beachtung fand.

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Dr. Gerd-Rüdiger Puin bei seinem Vortrag

2001 fand der große Schmuck-Workshop statt. Die Gesellschaft berief im selben Jahr Annemarie Schimmel zum Ehrenmitglied (Text der Urkunde am Ende des Beitrags). Im Jahr 2002 beteiligte sich die Gesellschaft an der von der Landeshauptstadt München veranstalteten „Langen Nacht der Bücher“; damit ergab sich die Gelegenheit, das Publikationsvorhaben unseres Mitglieds, des Verlages C.H.Beck, einer vollständigen Neuübersetzung der Erzählungen aus Tausendundeiner Nacht nachdrücklich zu unterstützen.

Im Jahr 2002 betraute uns die Allianz Group mit der ehrenvollen Aufgabe, die von ihr gesponserte Gastprofessur für Islamische Studien konzeptionell und organisatorisch zu begleiten. Das Konzept wurde dann vom Förderverein des Lehrstuhls für Jüdische Geschichte und Kultur übernommen; im Sommersemester 2003 hielt Prof. Dr. Ekmeleddin Ihsanoglu, der erste Allianz Gastprofessor und jetzige Generalsekretär der Conferenz der islamischen Staaten in Jeddah, seine Vorlesungen.

2004 fand zu Ehren von Annemarie Schimmel, die im Jahr 2003 verstorben war, eine große Gedenkveranstaltung in der Aula der LMU statt, bei der Wolf Euba u.a. Texte des von ihr besonders verehrten Dichters Dschelaladin Rumi in der Übersetzung von Annemarie Schimmel vortrug.

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2004 fand zu Ehren von Annemarie Schimmel, die im Jahr 2003 verstorben war, eine große Gedenkveranstaltung in der Aula der LMU statt

2005 stellte sich der damalige Vorstand nicht mehr zur Wahl, er wurde von einem neuen Gremium abgelöst, dem Herr Khan, der als Gründungsmitglied im Vorstand weiter mitwirkte, Herr Frölich und ich angehörten. Im Herbst dieses Jahres fand mit großer Beteiligung der Mitglieder der erste Orientbazar im Foyer des Münchner Völkerkundemuseums statt.

Im Jahr 2006 beschloss die Mitgliederversammlung auf Initiative von Dietlinde und Christian Erber, den Annemarie-Schimmel-Preis auzuloben, der 2008 erstmals in einer eindrucksvollen Feier verliehen werden konnte. 2007 konnte ein weiterer umfangreicher Band des Jahrbuchs Eothen erscheinen.

Besonders erwähnen möchte ich noch die exzellenten Exkursionen „Wien und die Osmanen – eine Spurensuche“ und „Die osmanischen Residenzstädte Iznik, Bursa, Edirne, Istanbul“, die unter der Führung unseres Mitglieds Professor Majer zusammen mit der Deutsch-Türkischen Gesellschaft durchgeführt wurden, sowie die Exkursion nach Florenz mit Professor Shalem, ebenfalls Mitglied der Gesellschaft, ferner die großartigen Studienreisen durch den Iran unter der Leitung unseres Vorstandsmitglieds Dr. Newid. Weitere Exkursionen führten uns zu Ausstellungen nach Frankfurt und nach Karlsruhe, zu den Lepantoschlacht-Darstellungen in bayerischen Barockkirchen und zuletzt zum Islamischen Forum nach Penzberg.

In den letzten beiden Jahren ist unsere Website wenigstens soweit fertig gestellt worden, dass eine umfassende Information gewährleistet ist; es bleibt aber auf diesem Gebiet noch einiges zu tun. Im Jahr 2008 wurde Professor Hans Georg Majer zum Ehrenmitglied berufen, und die Neuwahlen ergaben einen neuen Vorstand mit Mirela Ljevakovic, Dr. Mehr Ali Newid,  Hans-Werner Frölich, Dieter F. Kickingereder und mir.

Erfreulich und nützlich für alle Beteiligten hat sich die Zusammenarbeit mit dem Münchner Zentrum für Islam Studien an der LMU und der Deutsch Türkischen Gesellschaft Bayern gestaltet. Unsere Aktivitäten werden unterstützt durch das Kuratorium, dem Frau Dr. Kathrin Müller und die Herren Prof. Hans Georg Majer, Werner Joseph Pich, Prof. Avinoam Shalem sowie Dr. Johannes Wolff-Diepenbrock angehören. Es ist heute auch angebracht, insbesondere Herrn Prof. Majer sowie Herrn Pich zu danken, ohne dessen permanente Unterstützung die Tätigkeit des Vorstands kaum möglich wäre.

Auch wenn ich in diesem knappen Rückblick nicht alle erwähnenswerten Aktivitäten der Gesellschaft aufführen konnte, so glaube ich doch feststellen zu dürfen, dass sich die Bilanz der 20 Jahre, gemessen sowohl am Satzungsauftrag wie auch im Blick auf den wissenschaftlichen Anspruch, aber auch in menschlicher Hinsicht, sehen lassen kann.

Wenn Sie in der kommenden Woche das nächste Rundschreiben in Händen halten, werden Sie sehen, dass wir wieder ein beachtliches Programm anbieten; außerdem möchte ich kurz auf weitere geplante interessante Exkursionen hinweisen, nach Dubai, Sharjah und Doha, nach Dresden und Sarajewo. Wir stecken außerdem intensiv in den Vorbereitungen verschiedener Veranstaltungen zum 100-jährigen Jubiläum der Ausstellung „Meisterwerke muhammedanischer Kunst“ von 1910 und für die zweite Verleihung des Annemarie Schimmel -Preises.

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Die Gesellschaft berief 2001 Annemarie Schimmel zum Ehrenmitglied

Nun aber zum Vortrag von Herrn Shalem über die in Fermo in den italienischen Marken aufbewahrte Kasel, die in Fermo in den italienischen Marken aufbewahrt wird, und einige sehr interessante Gedanken zum Charakter von Kleidung. Herrn Professor Shalem vom Institut für Kunstgeschichte der LMU und Max-Planck-Professor am Kunsthistorischen Institut Florenz, brauche ich Ihnen nicht vorzustellen“.

* Mehr Informationen zu Schienerls Tätigkeit als Wissenschaftler und zu seinen Sammlungen finden Sie im Beitrag von Dr. Bruno Öhrig, Irene Godenschweg, Sigrun Nützsche „Vorläufiger Bericht über eine umfangreiche Schenkung an das Museum für Völkerkunde Dresden: Der Nachlass des Orientforschers Dr. Peter W. Schienerl“ in Abhandlungen und Berichte der Staatlichen Ethnographischen Sammlungen, Bd. 52, 2005, SS. 259-274.

Das Leben und die Sammlungen von Dr. Schienerl waren 2008 auch Gegenstand einer Diplomarbeit am Museum für Völkerkunde Wien: „Die Sammlungen Peter W. und Jutta Schienerl. Rezente orientalische Kultur und Kunst in Wien und Dresden“. Die Autorin, Frau Sophie Gerber MMag. phil., ist seit Mai 2009 wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin am Zentralinstitut für Geschichte der Technik der TU München im Rahmen des Projekts „Objekte des Energiekonsums“.

Die Gesellschaft hat diese Arbeit 2012  in EOTHEN V. Münchner Beiträge zur Geschichte der Islamischen Kunst und Kultur veröffentlicht (siehe dazu das Kapitel Publikationen in dieser Website).

(WJP)