EOTHEN VII – Rezension

Artikel vom 27. November 2018 zuletzt aktualisiert am 29. November 2018

Dr. Michael Buddeberg, stv. Vorsitzender des Vorstandes der PREETORIUS STIFTUNG, München, Jurist und Mitglied unserer Gesellschaft war wiederum so freundlich, seine Eindrücke bei der Lektüre unseres neuen Jahrbuchs in eine ausführliche Rezension zusammen zu fassen.
Der Autor ist nicht nur ein bekannter Sammler und Kenner asiatischer (insbesondere tibetischer) und islamischer Kunst und Kultur, er nutzt auch sein Wissen, um die dazu erscheinende Literatur zu verarbeiten und der Öffentlichkeit in einer inzwischen auf viele hundert Texte angewachsenen Bibliographie ausführlich vorzustellen; s. dazu das Kapitel Buchbesprechungen der Website der Preetorius Stiftung 

Wir sind Michael Buddeberg dankbar für die Erlaubnis, seine Rezension in unsere Website übernehmen zu dürfen.

EOTHEN VII – Münchner Beiträge zur Geschichte der Islamischen Kunst und Kultur

Der soeben erschienene Band VII der Münchner Beiträge zur Geschichte der Islamischen Kunst und Kultur ist ein willkommener Anlass, einen Verein zu würdigen und hochleben zu lassen, der in diesem Jahr seinen 29. Geburtstag feiern kann und dessen Publikationen mit dem siebten Band von EOTHEN so richtig erwachsen geworden sind. Zunächst als „Jahreshefte“ von der Gesellschaft der Freunde Islamischer Kunst und Kultur herausgegeben, waren sie das Medium zur Veröffentlichung der von ihr in München veranstalteten wissenschaftlichen Vorträge und damit ein wichtiger Multiplikator für die von der Gesellschaft als ihr Kernanliegen gepflegten Leistungen. Seit dem Band V führt EOTHEN den Untertitel „Münchner Beiträge zur Geschichte der Islamischen Kunst und Kultur“; das damit beanspruchte Monopol ist verdient und unbestritten. Schon mit Band VI wurde das Konzept der Publikation von überarbeiteten Vortragstexten zugunsten weiterer wissenschaftlicher Arbeiten aus dem weiten Feld der islamischen Kunst und Kultur erweitert und hat nun mit dem siebten Band ein Format gefunden, das den Untertitel einmal mehr rechtfertigt. EOTHEN hat sich zu einem Periodikum entwickelt, das für Wissenschaftler, Liebhaber, Sammler und sonst an islamischer Kunst und Kultur Interessierte eine unentbehrliche und reich sprudelnde Quelle stets fesselnder und oft auch überraschender Themen und Meinungen ist. Dass hierfür – und das seit 29 Jahren – ein Verein, also eine stetem Wandel unterworfene Personenmehrheit, die Verantwortung trägt, ist ein Grund mehr für Bewunderung und aufrichtige Gratulation.

Wie stets ist der zeitliche Rahmen der insgesamt 16 publizierten Beiträge weit gespannt, diesmal sogar etliche Jahrhunderte weiter als gewohnt, denn er beginnt schon mit der Geburt Jesu Christi und endet erst im 21. Jahrhundert mit zeitgenössischen Werken arabischer Künstler. In dem Beitrag von Karl-Josef Kuschel erfahren wir, dass nicht nur die Geburt Jesu Christi, die „Heilige Nacht“, als der Beginn der Offenbarungen an den Propheten Eingang in den Koran gefunden hat, sondern dass der Koran darüber hinaus eine Fülle biblischer Überlieferungen enthält. Für Kuschel ist das ein wichtiger Beleg dafür, dass Juden, Christen und Muslime eine Glaubensgemeinschaft bilden. Ein frommer Wunsch, der in Religion und Politik ebenso wenig Realität ist wie in der Kunst.

A.Mater, Magnetism, Installation, 2012

Karin Adrian von Roques offenbart in ihrem Essay über die zeitgenössische Kunst in den arabischen Ländern eine lebhafte Kunstszene, von der man im Westen allerdings so gut wie nichts weiß. Gibt es überhaupt eine spezifisch arabische Kunst und worin unterscheidet sich diese von der des Westens? Gibt es eine Bildwelt, die nur vor dem Hintergrund islamischer Traditionen entstehen konnte oder ist die Kunst in Zeiten der Globalisierung zu einer universalen Sprache geworden? Diese und viele weitere Fragen werden gestellt und der Leser mag anhand der zwei Dutzend mit ihren Werken vorgestellten arabischen Künstler Antworten suchen.

Das Aufeinandertreffen, die Begegnung von West und Ost, ist Gegenstand mehrerer Beiträge. Die eindrucksvolle Sammlung westlicher Ansichten von Konstantinopel vom 15. bis zum 19. Jahrhundert, die Helmut Eberhart in vielen Jahren zusammengetragen hat – und das sind durchaus nicht nur Karten und Stadtansichten sondern auch Bilder von Teppichhändlern und von Odalisken -, ist eine schöne Einführung zu diesem Themenkomplex, der auch die finale Auseinandersetzung zwischen dem Osmanischen Reich und dem Westen und die daraus resultierende „Türkenbeute“ einmal mehr im Fokus hat. Dass nicht alles Osmanische in westlichen Museen in diese Schublade passt, ist in Holger Schuckelts Beitrag über den Gesandten Georg Spiegel zu lesen, der im Auftrag August des Starken im frühen 18. Jahrhundert in großem Maßstab türkische Waffen, Kostüme und Zelte in Konstantinopel erwarb, um fürstliche Feste und Maskenbälle im sächsischen Dresden auszustatten. Schon vorher, im September 1683 war der bayerische Kurfürst Max Emanuel II in der denkwürdigen Schlacht um  Wien am Kahlenberg mit dabei und machte nach der Zerschlagung des Türkenheeres Beute. Aber nicht alles, was heute mit gewissem Stolz als Max Emanuels Türkenbeute geführt wird, rührt aus diesem erfolgreichen Kriegszug her, sondern gelangte aus anderen Quellen, oft viel früher, in den Besitz der Wittelsbacher, und ist in einigen Fällen nicht einmal osmanischer Herkunft. Es ist zu bewundern, mit welcher Sorgfalt und fast kriminalistischem Gespür Marcus Pilz und Priscilla Pfannmüller diese Fakten recherchiert haben. Ein in seiner Herkunft nicht zweifelhafter aber unscheinbarer Teil der Beute Max Emanuels aus einem der erfolgreichen Scharmützel um die Eroberung Belgrads im Juli 1867 nimmt Hans Georg Majer zum Anlass, sich mit dem Briefeschreiber, dem bisher wenig erforschten Großwesir Sari Süleyman Pascha zu befassen, mit dessen Leben und Wirken und mit den Spuren, die er außer dem genannten Brief sonst noch in Bayern hinterlassen hat.

Nahm die Türkenbeute ihren Weg von Ost nach West, gelangte ein markantes Brunnenhaus aus dem Westen an seinen zentralen Standort auf dem antiken Hippodrom im Zentrum von Konstantinopel. Die Rede ist von dem sogenannten „Deutschen Brunnen“, den Kaiser Wilhelm II nach seinem Besuch Konstantinopels im Jahre 1898 stiftete. Anlass, Planung, Entwurf, Bau und Einweihung dieser architektonischen Mixtur aus romanischen und spätantik-christlichen Stilelementen werden in dem Beitrag von Lorenz Korn untersucht ebenso wie die Kontroverse um den prominenten Platz auf dem heutigen At Meydam. Ebenfalls von West nach Ost gelangte die Freimaurerei in die islamische Welt. Deren unterschiedliche Präsenz im Maghreb und im Nahen und Mittleren Osten untersucht Dieter  Kickingereder. Sein Beitrag ist darüber hinaus eine gut lesbare und verständliche Einführung in Ziele, Ursprung und Geschichte der Freimaurerei.

Architektur, Kunst und Literatur kommen ebenfalls nicht zu kurz. Mustafa Özer befasst sich mit dem Großherrlichen Palast von Edirne, mit dessen Bau Murad II 1450 begonnen hat, eine einst mehr als einhundert Gebäude umfassende Anlage, die 1877 unter dem Eindruck der drohenden russischen Eroberung durch Sprengung des dort gelagerten Munitionsdepots zerstört und fortan als Steinbruch genutzt wurde. Die allmähliche Restaurierung dieses wichtigen Erbes osmanischer Architektur lässt hoffen. Von der einstigen Fliesenpracht ist natürlich nichts mehr zu sehen. Die Datenlage lässt es aber als durchaus möglich erscheinen, dass die eine oder andere der Fliesen in die überwiegend im späten 19. Jahrhundert zusammengetragene, grandiose Sammlung osmanischer Baukeramik aus Iznik im  Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg gelangt ist. Diese Sammlung wird in einem Beitrag von Deniz Erduman-Çaliş und Nazan Ilgaz mit reichem Bildmaterial vorgestellt. Hervorzuheben ist hier vor allem ein monumentaler gekrönter Fliesenbogen aus der Blütezeit der Iznik-Keramik (ca. 1570). Welches Bauwerk dieses herausragende Beispiel osmanischer Fliesenkunst von höchster künstlerischer und technischer Qualität einst zierte, ist allerdings nicht bekannt.

Islamische Kunst und Bildfeindlichkeit ist stets ein spannendes Thema. Stefan Weidner zeigt am Beispiel der Wazir Khan Moschee in Lahore, mit welch spielerischer Kreativität die Moghul-Baumeister das Bilderverbot zu umgehen wussten. Parallelen zu diesen islamischen Vexierbildern sehen wir bei Arcimboldo im 16. oder M.C.Escher im 20. Jahrhundert; Beispiele einer weit über den Islam hinausreichenden Doppeldeutigkeit bildlicher Gestaltung. Eine weitere überraschende Bezugnahme auf die europäische Kunst des 20. Jahrhunderts findet sich auch in Christoph Bürgels

Salomo und Bilqis auf dem Thron im Gespräch

Beitrag über Miniaturen in Handschriften von Nizami. In einer seiner Erzählungen spricht Nizami von „Moses gelber Kuh“ und Bürgel fragt sich, ob Franz Marc beim Malen seiner berühmten, heute im New Yorker Guggenheim Museum zu bewundernden Gelben Kuh den Vers von Nizami oder eine entsprechende Koranstelle gekannt haben mag. Miniaturen sind auch das Thema von Simone Struth, die anhand der im Museum für Islamische Kunst in Berlin verwahrten Alben ein Kaleidoskop islamischer Gartengestaltung im Indien der Moghulzeit vor uns ausbreitet. Die meisten der Gärten sind von Fürsten, Prinzessinnen, Liebespaaren aber auch Tieren und mythologischen Figuren belebt, was wieder einmal belegt, dass das Bilderverbot zwischen Buchdeckeln nicht existierte.

Kunst und Kultur sind eingebettet in Geschichte und Politik. Die von Bert Fragner locker und kenntnisreich beschriebene Geburt des noch jungen Usbekistan ist zugleich eine Geschichte Zentralasiens, in der nicht nur die Goldene Horde, Timur und  die Sowjetunion eine Rolle gespielt haben, sondern auch die Queen Victoria und der Dichterfürst Raschidov. Warum eine marginale Volksgruppe zu Namensgebern ihrer Republik wurde, ist spannende Lektüre. Der in Ramallah geborene, im Exil lebende Palästinenser Ibrahim Muhawi führt uns in den Brennpunkt nahöstlicher Politik und Geschichte. Sein mit Herzblut geschriebener Beitrag offenbart Fakten, die dem Leser die ganze grausame Hoffnungslosigkeit der Situation Palästinas schonungslos bewusst machen. Dass Muhawi die Hoffnung nicht ganz verloren hat und dafür auch reale Gründe anzuführen hat, ist als Appell an die Zukunft zu verstehen. Mögen also die Palästinenser eine auch von Israel akzeptierte Heimat finden, so wie die Juden seit jeher ein Teil der arabischen Welt gewesen sind.
Ronny Vollandt behandelt in seinem Essay über jüdische Literatur in arabischer Sprache ein kaum behandeltes Thema, das indessen tief in die seit vorislamischer Zeit bestehende Durchdringung jüdischer und arabischer Lebenswelten hineinführt. Auch sein Beitrag endet mit dem Appell, dass dem intellektuellen und multikulturellen Erbe des Judentums im Nahen Osten eine  Zukunft beschieden sein möge.

Das hier geübte Herauslösen einzelner Mosaiksteine aus dem tausend-und-ein-teiligen Puzzle der sechzehn in EOTHEN VII enthaltenen Beiträge vermag nicht mehr als Neugier zu entfachen. Jeder einzelne Beitrag – das sei versichert – ist es wert, sorgfältig gelesen und studiert zu werden. Ein zumindest mehrwöchiges, anspruchsvolles und intellektuelles Lesevergnügen ist garantiert. Kompliment und Dank an Herausgeber und Autoren!

Max Leonhard, Werner Joseph Pich (Hrsg.)
Kunstverlag Josef Fink, Lindenberg im Allgäu 2018,  424 SS. Klappenbroschur, ISBN 978-3-95976-150-5, 42 € (für Mitglieder der Gesellschaft 30 €)