Dr. Helga Rebhan 35 Jahre im Dienst der Bayerischen Staatsbibliothek

Artikel vom 19. November 2021 zuletzt aktualisiert am 27. November 2021

Frau Dr. Rebhan war für unsere Gesellschaft viele Jahre lang ein wichtiger Bezugspunkt in der Bayerischen Staatsbibliothek (BSB, vulgo Stabi), so etwas wie ein Wissensanker für alle Fragen die das Haus oder die von ihr betreute Literatur betrafen. Freundliche und fundierte Auskünfte waren stets sicher. Da sie nicht selten Gast unserer Vorträge in der Universität war, beschränkte sich dieser Kontakt nicht auf telefonische oder persönliche  Gespräche vor Ort. 

Die letzte Frage im hier eingefügten Interview *) bezog sich auf Frau Rebhans Planungen für ihren Ruhestand. Wir können nun stolz und dankbar ergänzen, dass wir sie ab sofort zu unseren Mitgliedern zählen dürfen und sie unsere Arbeit auch in Zukunft mit ihrem Erfahrungsschatz und dem – auch im Interview aufleuchtenden – ausgedehnten Wissen unterstützen wird.


HELGA REBHAN UND DOROTHEA SOMMER IM GESPRÄCH

Ende März im Jahr 2021 trat Dr. Helga Rebhan nach 35 Jahren in Diensten der Bayerischen Staatsbibliothek in den Ruhestand. 2005 übernahm sie von Dr. Günther Grönbold die Leitung der Orient- und Asienabteilung. Zum Abschied führte Dr. Dorothea Sommer, Stellvertretende Generaldirektorin der Bayerischen Staatsbibliothek und verantwortlich für die Sonderabteilungen, ein Interview mit Frau Rebhan.

Liebe Frau Rebhan, Sie waren insgesamt 35 Jahre in der Bayerischen Staatsbibliothek tätig, davon 16 Jahre als Abteilungsleiterin der Abteilung Orient und Asien. Wie kam es, dass Sie sich als junge Frau für den Kulturkreis des Orients interessierten?

Zunächst war es die Vorderasiatische Archäologie, die bereits in meiner Gymnasialzeit in Bamberg und Kronach eine besondere Faszination auf mich ausübte. Nach dem Abitur war ich drei Monate lang auf dem Landweg über den Balkan, die Türkei und den Iran nach Afghanistan unterwegs. Auf dieser Reise entstand der Wunsch, mich mit dem Nahen Osten und dessen Kultur- und Sprachenvielfalt intensiver zu beschäftigen. Nach der Rückkehr wies mich ein Türkischkurs in die Richtung der Orientalistik.

Welche Fächer und wo haben Sie dann studiert?

An der Universität Erlangen-Nürnberg habe ich Islamwissenschaft, Neuere Geschichte, Neuere Deutsche Literaturwissenschaft und Politikwissenschaft studiert. Zur Vertiefung meiner Arabischkenntnisse absolvierte ich nach der Zwischenprüfung ein Gastsemester an der Universität Damaskus. Auf den Magisterabschluss folgte ein zweijähriger, durch den DAAD geförderter Studienaufenthalt in Kairo, wo ich in Bibliotheken und im Ägyptischen Staatsarchiv das Material für meine Dissertation gesammelt habe.

Welcher Weg führte Sie später in die Bayerische Staatsbibliothek? Orientalisten und Orientalistinnen können ja in verschiedenen Berufsfeldern tätig sein. War die Tätigkeit in einer Bibliothek von vornherein für Sie ein Anziehungspunkt?

Die Tätigkeit in einer wissenschaftlichen Bibliothek stellte schon während meines Studiums eine der attraktiven Berufsmöglichkeiten dar. Wenige Monate vor dem Abschluss der Promotion brachte es der günstige Umstand mit sich, dass in München ein Referendariat für den Höheren Bibliotheksdienst mit Fachrichtung Orientalistik ausgeschrieben war und ich tatsächlich zugelassen wurde. Zwei Jahre später begann mein Berufsleben in der Bayerischen Staatsbibliothek als Fachreferentin für Arabistik und Islamwissenschaft.

Der Kulturbereich Orient und Asien ist nicht nur wegen seiner geografischen Entfernung für viele Menschen manchmal mit gewissen exotischen Vorstellungen verknüpft, man bezeichnet die Studienfächer im universitären Curriculum auch gerne als Orchideenfächer. Seit wann sammelt und erwirbt die Abteilung Orient und Asien der Bayerischen Staatsbibliothek? Und welche Schwerpunkte gibt es innerhalb dieser Sammlungen?

Die orientalische Sammlung geht auf die Gründung der Bibliothek im Jahr 1558 zurück. Mit chinesischen Jesuitendrucken wurde die asiatische Sammlung Ende des 17. Jahrhunderts initiiert. Ein systematischer und umfangreicher Ausbau dieser Bestände setzte erst im 19. Jahrhundert im Kontext mit der Einrichtung entsprechender Lehrstühle und deren Bedarf an Forschungsquellen ein. Heute kuratiert die Bibliothek über 20.000 Handschriften in den entsprechenden Sprachen. Während sich das Mengengerüst der orientalischen und asiatischen Handschriften in ausgewogener Form über alle Regionen im Verantwortungsbereich der Abteilung darstellt, ist das geografische Profil der 600.000 Publikationen in Originalsprachen und der Sekundärliteratur für ein weit größeres Gebiet definiert.

Die einfarbig markierten Länder liegen im Zuständigkeitsbereich der Orient- und Asienabteilung. Die mit Schraffur versehenen Flächen markieren Länder, die gemeinsam mit der Osteuropaabteilung betreut werden.

Wie würden Sie das Sammelgebiet geografisch definieren? Gibt es hier Gebiete, die vom Sammelauftrag der BSB ausdrücklich ausgeschlossen werden? Und wie gestaltet sich der Literaturerwerb von physischen und elektronischen Medien aus der heute politisch sehr volatilen Region?

Das Sammelgebiet umfasst Nordafrika, den Nahen und Mittleren Osten, Zentral-, Süd-, Südost- und Ostasien. Der Sammelauftrag gilt für alle Regionen, wenngleich mit unterschiedlicher Intensität. Im Bereich des Nahen Ostens gestaltet sich der Erwerb von Literatur aus Krisengebieten ausgesprochen schwierig. Zum Beispiel hatten wir seit den 80er-Jahren des 20. Jahrhunderts wegen des über den Irak verhängten Embargos kaum Zugriff auf dort erschienene Publikationen. Als nach dem Irakkrieg 2003 die Familie al-Rajab ihre 1936 gegründete und 1999 abgebrannte Bagdader Buchhandlung al-Muthanna wiederaufbaute, waren die Beschaffung irakischer Monografien und antiquarische Nachkäufe unkompliziert, bis im Zuge konfessioneller und politischer Auseinandersetzungen die Funktionsfähigkeit der Buchhandlung erneut beeinträchtigt wurde, denn wegen eines Angriffs auf den Buchmarkt in Bagdad 2007 musste das Gebäude aufgegeben werden.

Kriegswirren stellen seit Jahren auch unsere Beiruter Buchhandlung vor immense logistische Schwierigkeiten: Eine Zeit lang konnte der Versand von Büchersendungen aus dem Libanon ausschließlich über den Seeweg via Zypern erfolgen. Wegen gegenwärtiger gewalttätiger Konflikte in Syrien und im Irak ist der Landweg für Büchertransporte aus der Region und den Golfstaaten äußerst problematisch geworden. Aus mehreren Ländern im Verantwortungsbereich der Orient- und Asienabteilung ist die Akquisition von Büchern nur über Literaturagenten oder vor Ort möglich.

Angesichts der reichen und auch kostbaren schriftlichen Überlieferung der Sammlungen der Bayerischen Staatsbibliothek nun eine schwierige Frage: Können Sie die eine oder andere Erwerbung nennen, die Ihnen in den vergangenen Jahren besonders wichtig war?

Hier fällt mir spontan ein im Jahr 2006 mit einer großzügigen Spende erworbenes Konvolut außergewöhnlicher und wertvoller tibetischer Handschriften aus der Mongolei ein. Es enthält eine Reihe von reich bebilderten Manuskripten, darunter eine „Geheime Autobiografie des 5. Dalai Lama“ mit 89 Darstellungen und ein illustriertes „Tibetisches Totenbuch“, das normalerweise nicht mit Abbildungen veranschaulicht wird. Begeisterung löste vor ein paar Jahren die Übergabe von zwei arabischen „Fragmenten“ durch die Bayerische Akademie der Wissenschaften aus, denn es handelte sich dabei um äußerst rare, im 9. bis 10. Jahrhundert hergestellte arabische Blockdrucke, also lange vor der Einführung des Blockdrucks in Europa entstandene Objekte, die extrem selten auf den Markt kommen.

Neben der Kuratierung der Sammlungen gab es aber auch sicherlich weitere besondere Ereignisse in Ihrer beruflichen Laufbahn an der Bayerischen Staatsbibliothek. Woran erinnern Sie sich besonders gerne?

Das sind einige Besuche im indischen Exil lebender tibetischer Mönche und Würdenträger, darunter SH Chetsang Rinpoche, der in Tibet als vierjähriges Kind als „Little Buddha“ anerkannt wurde. Als ich einmal einem Abt tibetische Musiknoten zeigte, setzte in meinem sonst nüchternen Büro ein Kehlkopfgesang ein, den man aus Klöstern im Himalaya kennt. Einen bleibenden Eindruck hat auch der Besuch der thailändischen Prinzessin Maha Chakra Sirindhorn hinterlassen, die 2009 mit einem großen Gefolge die Bibliothek besuchte.

Unvergessen sind in der Bayerischen Staatsbibliothek u. a. die Ausstellungen „Prachtkorane aus tausend Jahren“ 1998, „Liebe, Götter und Dämonen“ 2008 und „Wunder der Schöpfung“ 2010, die Sie kuratiert haben. Gibt es Lieblingsexponate in der Orientsammlung, die Ihnen besonders am Herzen liegen?

Zu einer längeren Reihe von Lieblingsobjekten zählt die arabische Bilderhandschrift der Kosmografie al-Qazwinis von 1280, die durch die Darstellung der Engel berühmt ist (Cod.arab. 464). Einen besonderen Reiz üben eine thailändische

Cod.arab. 464: Kosmografie von al-Qazwini, Wasit, Irak, 1280: Zwei Engel zeichnen die guten und bösen Taten der Menschen auf.

Gedichtsammlung mit der Darstellung mythologischer Vogelwesen (Cod.siam. 98) und ein tibetisches Geomantie-Manuskript mit zahlreichen, bis dahin unbekannten bildlichen Darstellungen aus (Cod.tibet. 895). Besonders am Herzen liegen mir die Sammlungen der Koranhandschriften, der persischen Miniaturhandschriften und der tibetischen Buchdeckel.

Als Abteilungsleiterin haben Sie auch zahlreiche Dienstreisen in den vergangenen Jahren absolviert, die Sie nach Europa, in den Nahen und Mittleren Osten und nach Asien geführt haben. In welchen Gremien waren Sie in diesem Zusammenhang tätig? Und wie gestaltete sich der Kontakt und die Zusammenarbeit mit den Fachwissenschaftlern?

Das wichtigste Fachgremium war Melcom International, die European Association of Middle East Librarians, deren Präsidentin ich von 2009–2016 war. Ich bin Mitglied der Islamic Manuscript Association und im Beirat von EURAMES (European Association of Middle Eastern Studies) und WOCMES (World Congress of Middle Eastern Studies).

Gerade in den Orient- und Asienwissenschaften sind Bibliothek und Wissenschaft eng miteinander verzahnt. In einem geografisch und kulturell weit gespannten Raum sind Kontakte und Kooperationen mit Fachwissenschaftlern und -kollegen unverzichtbar. Eine entscheidende Rolle spielt die KOHD (Katalogisierung der Orientalischen Handschriften in Deutschland), in deren Rahmen die einschlägigen Manuskriptfonds der Bibliotheken von Fachleuten erschlossen werden. Insbesondere zu den fachbezogenen Instituten der Ludwig-Maximilians-Universität München gibt es enge Verbindungen.

Auch in Ihrer Abteilung waren die Aufgaben in den vergangenen Jahren zunehmend durch die digitale Transformation geprägt. Welche neuen Möglichkeiten durch die Digitalisierung haben die Entwicklung der Abteilung Orient und Asien entscheidend vorangebracht und darüber hinaus neue Erkenntnisse gebracht?

Hier möchte ich umfangreiche Digitalisierungsvorhaben im Bereich der ‚Altsinica‘ und wertvollen ‚Hebraica‘ und außerdem kleinere Projekte in weiteren Sprachfächern nennen, die wesentlich zur internationalen Wahrnehmung der Sammlung und deren Erforschung beigetragen haben. Durch die Public-Private-Partnership mit Google stehen in der Regel schwer zugängliche Rariora seit einigen Jahren digital und damit weltweit zur Verfügung. Einen aktuellen Meilenstein in der Erschließung orientalischer und
asiatischer Handschriften markiert das von der DFG geförderte Gemeinschaftsprojekt Orient-Digital der Staatsbibliotheken Berlin und München, der Forschungsbibliothek Gotha und des Universitätsrechenzentrums Leipzig. Durch den Aufbau eines Portals für den Nachweis in Deutschland vorhandener Manuskripte und deren digitalen Derivaten wird die Infrastruktur für die Konversion gedruckter Kataloge, die Integration bestehender elektronischer Nachweissysteme und künftige Erschließungsprojekte geschaffen. Da das 1957 begründete Langzeitprojekt KOHD 2022 abgeschlossen sein wird, ist die Einrichtung eines Verbundkatalogs für die Erschließung orientalischer und asiatischer Manuskripte für die Forschung von umso höherer Relevanz.

Zu guter Letzt möchten wir natürlich auch einen kleinen Ausblick auf Ihren neuen Lebensabschnitt nach den Jahren an der Bayerischen Staatsbibliothek nehmen. Was sind Ihre Pläne für die nächste Zeit?

In Planung sind einige größere Reisen, zunächst nach Nepal, das mich landschaftlich und kulturell besonders in den Bann zieht, zumal ich auch Manuskripte nepalesischer Provenienz kuratiert habe. Ich habe außerdem vor, mich weiterhin mit der Münchener Sammlungsgeschichte zu beschäftigen, zu der ich schon länger forsche und werde auch fachrelevante Projekte wie Orient-Digital sowie die generellen Entwicklungen im Bibliothekswesen weiterverfolgen, denn mit meinem Eintritt in den Ruhestand ist natürlich längst nicht das fachliche Interesse erloschen.

Liebe Frau Rebhan, vielen Dank für das Gespräch. Wir danken Ihnen für Ihr langjähriges, ausgezeichnetes berufliches Engagement und wünschen Ihnen alles erdenklich Gute, Gesundheit und Glück für den neuen Lebensabschnitt!

Bildquellen:

  • Karte mit Wirkungsbereich der Orient-Asien-Abteilung der Bayerischen Staatsbibliothek: Bayerische Staatsbibliothek/D-ÖA (I.Mittag)
  • Arabische Bilderhandschrift: Bayerische Staatsbibliothek/Cod.arab 464

*) Aus Bibliotheksmagazin, Ausgabe 3 | 2021  
www.bsb-muenchen.de/fileadmin/pdf/publikationen/bibliotheksmagazin/bm_2021_3.pdf

Wir danken dem Bibliotheksmagazin für die freundliche Überlassung des Textes und von zwei der dort befindlichen fünf Abbildungen.

Auf folgenden Webseiten der Bayerischen Staatsbibliothek finden Sie Übersichten u. a. zu den verschiedenen Tätigkeitsbereichen, Projekten und Recherchemöglichkeiten der Abteilung Orient und Asien:

www.bsb-muenchen.de/sammlungen/orient
www.bsb-muenchen.de/sammlungen/asien